"Secessionen" in Berlin
Eine griechische Göttin steht für revolutionäre Umbrüche in der Kunstszene. In zwei epochalen Versionen hängt sich "Pallas Athene" nun in Berlin erstmals selbst gegenüber. Die jeweils 1898 entstandenen Werke von Gustav Klimt (1862-1918) und Franz von Stuck (1863-1928) gelten als künstlerische Ausgangspunkte der Secessionen in Wien und München. Jede für sich eine gemalte Abrechnung mit dem damaligen Kunstbetrieb. Klimts "Judith" von 1901 vervollständigt das hochkarätige Trio als Zentrum in der Alten Nationalgalerie, umringt von berühmten Arbeiten Max Liebermanns (1847-1935) als Standbein der Berliner Secession.
Die Ausstellung "Secessionen. Klimt, Stuck, Liebermann" beleuchtet vor allem die Gemeinsamkeiten dieser umwälzenden Entwicklungen im deutschsprachigen Raum. Die etwa 220 hochkarätigen Arbeiten von rund 80 Künstlerinnen und Künstlern in 13 thematischen Räumen sind von diesem Freitag an bis zum 22. Oktober zunächst in Berlin zu sehen.
Im nächsten Jahr zeigt das Wien Museum, Partner der Ausstellung, vom 22. Mai bis 13. Oktober die Werke. Dafür gab es einen "nie dagewesenen Austausch von Sammlungsgegenständen", sagte Ralph Gleis, Direktor der Alten Nationalgalerie, der die Ausstellung mit der Vizedirektorin des Wien Museums, Ursula Storch, kuratierte.
In München geht es 1892 los, Wien und Berlin folgen fünf und sieben Jahre später. Künstler, auch einige Künstlerinnen distanzieren sich vom aus ihrer Sicht altbackenen Kunstbetrieb. Mit dem Wechsel des Jahrhunderts wollen sie herkömmliche Sichtweisen und Techniken hinter sich lassen. Das revolutionäre Potenzial bündelt sich in Secessionen, angelehnt am lateinischen Wort für Abspaltung.
Was sich damals als künstlerische Avantgarde verstand, hängt heute als Touristenmagnet in Museen weltweit. Konkrete Werte lassen sich bei solchen Arbeiten kaum schätzen. Ein Hinweis darauf: Die Leihgaben für die Ausstellung wurden mit mehreren hundert Millionen Euro versichert.
Die drei wichtigsten Protagonisten werden meist mit Stilen und Orten verbunden: Klimt mit Wien und Jugendstil, von Stuck mit München und Symbolismus, Liebermann schließlich steht häufig für Berlin und Impressionismus. Die Ausstellung zeigt zahlreiche Gemeinsamkeiten und gegenseitige Einflüsse der eng miteinander verbundenen Kunstbewegungen. Dafür stehen Werke unter anderem von Lovis Corinth, Max Klinger, Käthe Kollwitz, Sabine Lepsius, Max Slevogt oder Lesser Ury.
Auch internationale Kontakte werden deutlich. Viele der Secession-Mitglieder hatten selbst Studienaufenthalte im Ausland hinter sich. Einflüsse zeigen etwa Arbeiten von Ferdinand Hodler, Auguste Rodin oder Edvard Munch. Dessen Arbeiten waren 1892 im Verein Berliner Künstler noch abgehängt worden, aber später bei Secessionsausstellungen in Berlin, München und Wien zu sehen.
Werke von 14 Künstlerinnen sind nun dabei. Frauen war der Akademiebetrieb zu diesem Zeitpunkt noch völlig verwehrt, zudem nahm zunächst nur die Secession in Berlin weibliche Mitglieder auf. Aus Sicht von Storch spiegelt die Ausstellungzahlenmäßig ungefähr das Verhältnis von damals wider. Der Organisation Fair Share ist das zu wenig. Sie kündigte zur Ausstellungseröffnung eine Protestaktion an.
Aufmerksamkeit war schon historisch wichtig. "Die Secessionen taten alles dafür, wahrgenommen zu werden", sagte Storch. Von Zeitgenossen wurden die Bewegungen in Berlin, München und Wien "wie ein Rausch" wahrgenommen. Die Ausstellung konzentriert sich auf die frühen Phasen mit einer Zeitspanne von 1892 bis 1913. (dpa)
"Secessionen. Klimt, Stuck, Liebermann", Alte Nationalgalerie, Berlin, bis 22. Oktober
Jonas Brinker in Berlin
Man kennt die Bauruinen, an denen man vielleicht schon mal auf dem Weg zum Strand vorbeigefahren ist. Unterbrechung oder gar Ende einer hübschen Wohnvision oder auch Investition, jetzt nur noch Gerippe aus Beton. Und doch sind sie nicht unbewohnt, jene Mahnmale des späten Kapitalismus. An der Küste des roten Meeres hat ein Hunderudel sie zu seinem Habitat erklärt. Bereits zwei Mal ist der Städel-Absolvent Jonas Brinker zu den Hunden in den Bauruinen gefahren, um sie für seine Videoarbeiten "Stray" (2020) und "Interval" (2022) auf dieser von ihnen selbst gewählten Bühne aus Beton zwischen dem heißen Wüstensand und dem salzigen Meerwasser am Horizont zu beobachten. Tagelang hat er sie gefilmt und aus dem Material eine poetische Zeit-Raum-Reflexion montiert.
Jetzt zeigt der Künstler seine beiden Filme im Kunstraum Prince11 in der Berliner Prinzenallee. Samstag und Sonntag ist Brinker anwesend. Und die Bauruinen, die man im Urlaub vielleicht wieder passieren wird, sieht man auch mit anderen Augen, sie sind bewohnt!
Jonas Brinker "Relics", Prince11, Berlin, bis 30. Juli
Friedemann Hahn in Berlin
Der kleine Projektraum Grzegorzki Shows im Berliner Stadtteil Wedding ist immer wieder ein originelles Energiezentrum für alle möglichen Wellenlängen und um das Kunstmachen, aber auch das Machen an sich. Der Künstler Gregor Hildebrandt betreibt das ehemalige Pförtnerhäuschen seit mehreren Jahren, ganz gezielt mit der Idee, Dinge sichtbar zu machen, die im breiten Berliner Kunstgeschehen nicht abgebildet werden. Oft sind es Positionen an den interessanten Rändern der Kunst, oder ganz außerhalb. Gregor Hildebrandt, längst selbst Professor, hat diesmal seinen eigenen Professor aus der intensiven Anfangszeit seines Studiums an der Kunstakademie in Mainz eingeladen.
Der Maler Friedemann Hahn, der 1949 geboren wurde, schreibt inzwischen auch Krimis. Und weil Gregor Hildebrandt die Kunst-Kunst dann doch den Berliner Institutionen überlassen will – die "einen krassen Job machen", wie der Künstler sagt – sind Friedemann Hahns Krimis neben seinen Gemälden an die Wand geschraubt. Konsequent. Ein paar Polaroids des Malers gibt es auch zu sehen.
Friedemann Hahn "Noir. UND Luna, der Mond über Sehringen. ODER Der Tod des Malers. - Fick in Gotham City. ODER Die gescheiterte Hoffnung. UND Painting & Guns", Grzegorzki Shows, Berlin, bis 1. August
"Plastic World" in Frankfurt am Main
Was bedeutet es, mit Kunststoff Kunst zu schaffen? Die Frankfurter Schirn bietet in einer neuen Ausstellung einen Überblick über die Verwendung von Plastik in der bildenden Kunst. "Es ist ein Material, das die Gesellschaft und die Welt verändert hat, deshalb heißt die Ausstellung auch 'Plastic World' ", sagte Museumschef Sebastian Baden am Mittwoch in Frankfurt.
Die Schau blickt auf die künstlerische Verwendung und Bewertung synthetischer Stoffe von den 1960er Jahren bis heute. "Schnell eroberte das vielseitige Material in Skulpturen und in der Architektur den dreidimensionalen, physischen Raum", erklärte Baden. Die Geschichte des Plastikzeitalters zeuge zwar von Innovationsfreude und Kreativität - aus ökologischer Perspektive entfalte Plastik aktuell jedoch eine besondere Dringlichkeit. Deshalb sollten in der Ausstellung nicht nur ästhetische Aspekte gesetzt, sondern auch zu kritischen Auseinandersetzungen einladen werden.
Gezeigt werden über 100 Werke von mehr als 50 Künstlerinnen und Künstlern - darunter Christo, Otto Piene, Niki de Saint Phalle, Monira Al Qadiri, César und Eva Hesse. Das Spektrum reiche von der Euphorie der Popkultur über den futuristischen Einfluss des Space Age und die Trash-Arbeiten des Nouveau Réalisme bis zu ökokritischen Positionen der jüngsten Zeit, hieß es.
Plastik sei omnipräsent, "und es ist gekommen, um zu bleiben", sagte Kuratorin Martina Weinhart. Was in der bildenden Kunst unglaubliche Möglichkeiten eröffnet habe, sei inzwischen eine enorme Belastung für die Umwelt. "Diese Schere wollen wir aufmachen, auch ohne moralischen Zeigefinger", erklärt sie.
"Plastic World" kooperiert mit dem Frankfurter Senckenberg Museum. Dort wird die ökokritische Arbeit "An Ecosystem of Excess" der Künstlerin und Wissenschaftlerin Pinar Yoldas präsentiert, in der die Ozeane im Mittelpunkt stehen. (dpa)
"Plastic World", Schirn Kunsthalle Frankfurt, Frankfurt am Main, bis 1. Oktober
Simone Fattal in Frankfurt am Main
Simone Fattal ist in gewisser Weise weltberühmt, aber sie hat noch nie in einer Institution in Deutschland ausgestellt. Die in Syrien geborene und im Libanon aufgewachsene Künstlerin ist unter anderem bekannt für ihren Verlag "Post Apollo Press". Im Jahr 1982 zog Fattal nach Kalifornien, wo sie den Verlag Post-Apollo Press gründete. Sie ließ Werke von Autorinnen und Autoren ins Englische übersetzen, die von den großen Verlagen nicht aufgegriffen wurden. "Ein politischer Akt", sagt die heute 81-jährige Künstlerin, die für ihre Ausstellung im Portikus angereist ist.
Die Ausstellung zeigt alle Publikationen von Post-Apollo Press, die sowohl von Fattal selbst als auch von ihrer Lebensgefährtin, der Dichterin und Malerin Etel Adnan (1925-2021) verlegt und gestaltet wurden, darunter Romane, Gedichte und Prosa. Das erste veröffentlichte Buch ist das Gedicht "From A to Z", ein Werk, das die Bedrohung des Alltagslebens durch einen Atomkrieg zum Ausdruck bringt, eine Bedrohung, die in den 1970er-Jahren immer realer wurde.
Dabei war der Name des Programms, "Post-Apollo", durchaus optimistisch gewählt. "Ich dachte damals, und das tue ich immer noch, dass es der Beginn einer neuen Ära ist, wenn die Menschheit die Schwerkraft hinter sich lässt und sich ins Universum aufmacht. Wir könnten also die Jahre vor und nach Apollo zählen, so wie wir es mit vor und nach Christus getan haben," sagt die Künstlerin.
Im großen, hellen Ausstellungsraum Portikus zeigt Simone Fattal einige ihrer Werke als bildende Künstlerin: Ihre Papierarbeiten und Skulpturen hängen lose mit dem Gilgamesch-Epos zusammen. Darin gibt es Humbaba, den geheimnisvollen Wächter des Zedernwaldes. Er scheint als kolossale Skulptur auch über die Gruppe von kniehohen Keramik-Pilzen zu wachen. Lebewesen, die auch das Atomzeitalter überleben werden.
Simone Fattal "The Manifestations of the Voyage", Portikus Frankfurt, bis 24. September
Die Biennale für Freiburg singt das "Lied der Straße"
Freiburg ist eine Stadt des bürgerlichen Protests. Die neue Leiterin der Biennale für Freiburg, Paula Kommoss, hat sich zu Anfang ihrer Tätigkeit in die Archive begeben und intensiv dazu in der Stadtgeschichte geforscht. Die zweite Ausgabe der Biennale nimmt sich die Straße als Austragungsort politischer Auseinandersetzungen vor, aber auch als Ort für das beiläufige Aushandeln scheinbarer Selbstverständlichkeiten. Wie zeigt sich beispielsweise feministische Repräsentation im öffentlichen Raum? Wie und an welchen Orten zeigt sich die koloniale Stadtgeschichte Freiburgs? Welche gegenwärtigen Lebensrealitäten existieren überhaupt simultan auf der Straße?
Für diese Biennale, die im Kunstverein Freiburg ein Zentrum hat, wurden viele neue Formate und Kunstwerke entwickelt, die explizite Bezüge zur Stadt herstellen, die Verdecktes aufzeigen, unerwartete Begegnungen, Erfahrungen und Austausch fördern. Bereits im Vorfeld hatte es Programmpunkte wie Workshops und Filmvorführungen gegeben. Zum Beispiel recherchierte der Künstler James Gregory Atkinson in lokalen Archiven, Bibliotheken und an diversen Orten entlang des Rheins zur "Schwarzen Schmach"-Propaganda, der rassistischen Kampagne gegen den Einsatz französischer Kolonialtruppen während der alliierten Rheinlandbesetzung.
Atkinson arbeitet archivbasiert zur Geschichte von Afrodeutschen, die nur sehr lückenhaft dokumentiert ist. Seine Recherchen über die französischen Kolonialtruppen, die während des Ersten und Zweiten Weltkriegs entlang des Rheins und an deutsch-französischen Grenzgebieten stationiert waren, machen die Auswirkungen dieser Präsenz auf (afro-)deutsch-französisches Leben in der Region sichtbar.
Gegründet wurde die Biennale für Freiburg übrigens 2019 vom Verein Perspektiven für Kunst in Freiburg als Reaktion auf die Schließung der Freiburger Außenstelle der Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe. Nach dem Ende der Dependance der renommierten Karlsruher Akademie war zeitgenössische Kunst in der Stadt immer weniger präsent. Ein Grund zu protestieren – mit einer Biennale, die das Problem fehlender Gegenwartskunst zugleich formuliert und für die Laufzeit dieser Biennale behebt.
Biennale für Freiburg, Kunstverein Freiburg und weitere Standorte im öffentlichen Raum, bis 30. Juli
"Ulrike Rosenbach. heute ist morgen" in Karlsruhe
Bereits in den frühen 1970ern hat sich Ulrike Rosenbach dem damals neuen Medium Video zugewandt und dessen Ausdrucksmöglichkeiten in Live-Aktionen erprobt. Bis heute befasst sich die Medienkunst-Pionierin mit Fragen der weiblichen Identität, mit Gender-Zuschreibungen oder der Beziehung von Mensch und Natur. Anlässlich ihres 80. Geburtstags präsentiert eine umfassende Soloschau am Karlsruher ZKM das Werk von Rosenbach, die auch für ihre performativen und medienübergreifenden Arbeiten berühmt ist.
"Ulrike Rosenbach. heute ist morgen" ZKM, Karlsruhe, von 24. Juni bis 7. Januar
African Fashion in New York
Oft und gerne zitiert die westliche Modewelt afrikanische Einflüsse und Elemente, ohne jedoch die Modedesigner des Kontinents selbst und ihre Visionen in ihre exklusiven Kreise aufzunehmen. Nun zieht eine von Londons Victoria & Albert Museum kreierte Ausstellung in das Brooklyn Museum in New York City ein, die sich unter dem Titel "Africa Fashion" ebenjenen Kreativen und ihren Schöpfungen widmet.
In über 180 Werken von mehr als 40 Designerinnen und Designern aus 20 afrikanischen Ländern werden der Ideenreichtum und die globale Bedeutung der afrikanischen Mode von der Mitte des 20. Jahrhunderts bis heute illustriert. Die thematisch gegliederten Arbeiten, von denen viele zum ersten Mal in den USA gezeigt werden, führen durch kulturelle Strömungen und politische Entwicklungen, die schließlich in einer Moderevolution Afrikas mündeten.
Nach 1960, dem Jahr, in dem sich 17 Länder von den Kolonialmächten losgesagt hatten, suchten die afrikanischen Gesellschaften nach einer neuen, eigenen Identität. Ihren Ausdruck fand sie in wiederentdeckten Handwerkskünsten und nicht zuletzt der Mode. Neben Couture und Konfektionskleidung dokumentieren auch Schmuckstücke, Musik, Skizzen, Fotos, Filme und vor allem eine reiche Sammlung afrikanischer Textilien den schöpferischen Prozess der befreiten Länder und helfen so, ihre Geschichte multisensorisch wahrzunehmen.
Thebe Magugu, Modedesigner aus Südafrika, und Gouled Ahmed, multidisziplinärer Künstler aus Dschibuti, gehören zu der zeitgenössischen und international erfolgreichen afrikanischen Modeszene, die in der Ausstellung vertreten ist. Daneben finden sich Kreationen von Pionierinnen wie Shade Thomas-Fahm, die als Nigerias erste Modedesignerin gilt und so auf die dortige Modebranche aufmerksam machte. Von der Inspiration bis zur Neuinterpretation präsentiert das Brooklyn Museum einen wichtigen Teil der Modegeschichte.
"African Fashion", Brooklyn Museum, New York, bis 22. Oktober
Tacita Dean "Wrack der Hoffnung" in Paris
Gewaltige Eisschollen und tausendjährige japanische Kirschbäume: Unter dem Titel "Geography Biography" zeigt die in Berlin und Los Angeles lebende Künstlerin Tacita Dean derzeit in dem Pariser Museum Bourse de Commerce ihre jüngsten Werke. Darin setzt sich die gebürtige Britin mit den Themen Zeit und Vergänglichkeit auseinander.
Eines ihrer Monumentalbilder heißt "The Wreck of Hope" (Das Wrack der Hoffnung). Damit zollt die 57-Jährige dem deutschen Romantiker Caspar David Friedrich und seinem Gemälde "Das Eismeer" Tribut: Gletscher, die zu kollabieren drohen. Die Künstlerin hat die Schneemassen mit Kreide auf Schiefer gemalt - eine Anspielung auf die schmelzenden Gletscher angesichts der globalen Erderwärmung.
Zu den Höhepunkten der Werkschau gehört außerdem eine riesige Installation, in der sie eine Art autobiografische Kartografie projiziert: ungewöhnliche Bilder von ihren Reisen um die Welt. (dpa)
Tacita Dean "Wrack der Hoffnung", Bourse de Commerce - Pinault Collection, Paris, bis 18. September
"Bravo"-Starschnitte in Rüsselsheim
Den Anfang machte Brigitte Bardot. Oder genauer gesagt ihre Füße - in schwarzen Pumps und Netzstrumpfhosen. Im März 1959 legte die "Bravo" den ersten Teil ihres allerersten Starschnitts auf. Man werde nun in den folgenden Heften "ein Stückchen von Brigittchen" veröffentlichen - zum Ausschneiden und Aufkleben, hieß es damals in der Jugendzeitschrift. Auf die Füße folgten neun weitere Teile. Wer alle gesammelt hatte, konnte "die ganze zierliche Figur von Frankreichs lebendem Denkmal in ganzer Größe zu Hause haben. 156 cm Brigitte Bardot!"
Nachzulesen und anzuschauen ist das alles in den Opelvillen im hessischen Rüsselsheim. Dort wird von diesem Sonntag an die Ausstellung "'Bravo'-Starschnitte. Eine Sammlung von Legenden» gezeigt. Zu sehen gibt es insgesamt 45 nachgedruckte Puzzle-Poster, zwischen 1959 und 2004, die einen sehr westlich geprägten Starkult dokumentieren. Die Schau gibt nicht nur Einblicke in längst vergangene Jugendkulturen, sondern erinnert auch an die Gesellschaft in den Jahrzehnten zwischen Nachkriegsmief und Digitalisierung.
"Für die Besucherinnen und Besucher ist es eine Zeitreise", sagt Kuratorin Beate Kemfert. So ist neben Bardot ein Starschnitt von Peter Kraus zu sehen. Es folgen gleich zwei Mal die Beatles oder Elvis Presley. Marilyn Monroe und James Dean sind ebenso ausgestellt, wie Mick Jagger oder ABBA - inklusive musikalischer Begleitung. Eine auf dem Boden kniende Madonna wird aus den 1980ern gezeigt, aber auch Modern Talking, Boris Becker oder der Außerirdische E.T.. Aus der Millennium-Zeit ist etwa Rapper Eminem dabei.
"Starschnitte waren schon etwas Besonderes. Die 'Bravo' prägte Generationen von Teenagern, aber war in vielen Haushalten auch verboten", sagt Kunsthistorikerin Kemfert. "Wir haben hier auch Starschnitte von Schock-Rockern wie Kiss oder Alice Cooper - oder von der Gruppe Village People, die in der Homosexuellen-Szene gefeiert wurde. Diese aufzuhängen, das war schon eine Provokation und eine Abgrenzung von den Eltern."
Nach Angaben der Bauer Media Group, die die "Bravo" herausgibt, aber nicht an der Ausstellung beteiligt ist, wurden über die Jahrzehnte insgesamt rund 120 Starschnitte veröffentlicht. Von Pierre Brice alias Winnetou gab es gleich drei Schnippelposter - eines davon ist auch in Rüsselsheim ausgestellt. (dpa)
Anruf bei Alex Gernandt, der von 1988 bis 2013 für "Bravo" arbeitete - zuletzt als Chefredakteur. "Früher war 'Bravo' für die Jugendlichen das Tor zur weiten Welt", sagt der Journalist. "Das waren die Zeiten vor der Digitalisierung und des Internets, mit dem Starschnitt hat man sich seine Stars quasi ins eigene Zimmer geholt." Und natürlich habe das Konzept auch die Leser-Blatt-Bindung gestärkt. "Wer einen Starschnitt zusammenbauen wollte, musste auch die nächsten 'Bravo'-Ausgaben kaufen, um alle Einzelteile zu bekommen."
Besonders lange mussten die Anhänger der Beatles ab November 1965 für einen Starschnitt der Band sammeln. Dafür waren 44 Teile in 39 "Bravo"-Ausgaben nötig. 1992 kam mit US-Serienstar Jason Priestley ("Beverly Hills, 90210") das Aus als regelmäßige Rubrik. Später gab es vereinzelte Wiederbelebungen, etwa mit Britney Spears oder Komiker und Regisseur Michael "Bully" Herbig - auch die letzteren beiden sind in der Ausstellung dabei.
Alle Starschnitte, die in den Opelvillen gezeigt werden, sind Leihgaben der Sparkassenstiftung in Lüneburg, wo bereits 2017 eine große Ausstellung stattfand. Ein interessantes Exponat in einer Virtrine ist der Nachbau der Ponderosa Ranch aus der US-Serie "Bonanza", den man per Bastelbogen aus der "Bravo" bauen konnte.
Präsentiert werden auch allerlei Fanartikel, etwa aus der privaten Sammlung eines Beatles-Anhängers, Plattencover sowie ein nachgebautes Jugendzimmer - inklusive orange-brauner Tapete. Besucher sind eingeladen, alte Fotos von ihren Starschnitten mitzubringen und aufzuhängen. Ausgelegt sind zudem alte «Bravos» mit Foto-Love-Stories und Aufklärungsseiten von "Dr. Sommer".
Doch die Zeiten, als die "Bravo" als Inbegriff der Jugend galt, sind längst vorbei. In den vergangenen Jahren erlebte die Zeitschrift, die inzwischen nur noch monatlich erscheint, einen drastischen Auflagenrückgang, wie viele andere Printmedien auch. Im ersten Quartal 2023 lag die verkaufte Auflage bei knapp 53 000 Exemplaren. Zum Vergleich: 1998 waren noch 970 000 Hefte verkauft worden. Zu absoluten Hochzeiten Anfang der 1990er-Jahre lag die wöchentliche Auflage nach Angaben von Ex-Chef Gernandt sogar bei über 1,5 Millionen Exemplaren.
Und wie steht es um das Konzept des Starschnitts, würde der heute noch funktionieren? "Inzwischen ist das total obsolet, viele Kids haben oft nicht mal mehr die Zeit, ein Tik-Tok-Video bis zum Ende zu schauen, geschweige denn über viele Wochen ein Poster zusammenzusetzen", sagt Gernandt. Und auch das Internet habe natürlich einen großen Wandel gebracht: "Die Stars sind inzwischen jederzeit und überall verfügbar - etwa auf YouTube oder via Social Media."
"'Bravo'-Starschnitte. Eine Sammlung von Legenden", Opelvillen, Rüsselsheim, 25. Juni bis 1. Oktober
Arbeiten von Max Slevogt in Saarbrücken
Rund 70 Arbeiten des Impressionisten Max Slevogt (1868-1932) auf Papier sind ab Samstag in einer Ausstellung in der Modernen Galerie des Saarlandmuseums zu sehen. Die Werke seien bisher selten gezeigt worden, teilte die Stiftung Saarländischer Kulturbesitz am Donnerstag in Saarbrücken mit. Zudem werden in der Ausstellung "Slevogt und der 'Wilde Westen'" drei aufwendig gestaltete Buchausgaben zu sehen sein.
Mit 56 Gemälden und rund 2500 Arbeiten auf Papier verfügt das Saarlandmuseum nach eigenen Angaben über einen der bedeutendsten Bestände von Slevogts Arbeiten. Die Ausstellung thematisiere Slevogts umfangreiches, heute oft vernachlässigtes illustratives Schaffen. Der Fokus liege auf seiner lebenslangen Faszination für Geschichten aus dem "Wilden Westen", hieß es. Slevogt machte sich als Maler, Grafiker, Illustrator und Bühnenbildner einen Namen. (dpa)
"Slevogt und der 'Wilde Westen'", Moderne Galerie, Saarbrücken, bis 1. Oktober.