Hans-Peter Feldmann

„Auf Theo Lingens Kunst passt das Wort 'grotesk'“

Herr Feldmann, warum ausgerechnet Theo Lingen?
1947, ich war sechs Jahre alt, gab’s im Kino kostenlose Vorstellungen. Da lief ein Werbefilm für Henkel, den hab’ ich fünfmal gesehen, es war rappelvoll, alles brüllte vor Lachen: Theo Lingen in der Waschküche. Das hat mich geprägt. Vor 15 Jahren wollte ich schon ein Buch über Lingen machen; jetzt wird’s eine Ausstellung. In Hannover ist Lingen geboren.

Es gibt einen bekannten und einen unbekannten Lingen, oder?
Ja, den vor 1933 und den nach der Nazizeit. Die Paukerfilme der 70er sind furchtbar. Aber im Theater der Nachkriegszeit hat er die Kritiker begeistert. Er hat Bertolt Brecht die Frau ausgespannt! Trotzdem haben die beiden sich bestens verstanden. Friedrich Luft schrieb einmal, wahrscheinlich habe Lingen Brecht beeinflusst, er spielte in der „Dreigroschenoper“ mit. Egon Friedells „Kulturgeschichte der Neuzeit“ wurde von Lingen redigiert. All das passt nicht zum Kitschklischee.

Lingen gilt als spießig, seifig, als serviler, fleißiger, überkorrekter Bediensteter.
Das ist aber nicht richtig. Auf seine Kunst passt das Wort „grotesk“. Er spielte etwa Russen, mit verwirbelten Haaren und zu großen Hemden. Auch die Stimme: übertrieben, abgehoben. Er verhielt sich so grotesk wie die Welt, die er nur so ertragen konnte: Geboren 1903, noch zur Kaiserzeit, dann kamen der Erste Weltkrieg, die Pandemie mit 20 Millionen Toten weltweit, die Hungerszeit in Berlin, dann die Wirtschaftskrise und am Ende die Nazis. Goebbels zwang ihn – wegen seiner jüdischen Frau –, in Nazifilmen mitzuspielen. Die liefen dann immer im DDR-Fernsehen, immer montags. Wenn das nicht grotesk war.

Was hat Lingen eigentlich mit Hans-Peter Feldmann zu tun?
Im Museum stand ich mal vor einem Rubens-Akt. Da wurde man knallrot, weil die Frau nackt war. Im Kino fühlten wir uns heimisch. Das war die Hauptkunstform, und er war der Meistgeliebte. Im Salzkammergut hatten alle Nazistars sich Villen gekauft, er auch. Als die Amis einmarschierten, standen sie bei St. Gilgen am Wolfgangsee, am Nordufer die Nazis. Lingen ist rüber und sagte ihnen: „Wir haben die SS, die hat Gefangene, ihr müsst sie befreien.“ Die Amis wollten nicht – Befehl von oben. Da sagte Lingen: „Wir machen eine Party, kommt ihr dann?“ Und die Amis: „Okay, privat können wir kommen.“ So hat er am Ende mitgeholfen, die Nazis zu vertreiben. 

Sprengel Museum Hannover, bis 12. Juni