Jeff Wall im Interview

„Für die Jüngeren stellen sich heute die Fragen anders“

Herr Wall, in der Ausstellung „The Crooked Path“ haben Sie eigene Arbeiten Werken von Künstlern gegenüber gestellt, die sie beeinflusst haben. Darunter finden sich erstaunlich viele Deutsche, von August Sander über die zahlreichen Becher-Schüler bis Kai Althoff und Martin Honert.
Die Künstler, die ich mag, zeichnen sich durch ihre besondere Qualität aus. Ich habe sie nicht nach ihrer Nationalität ausgewählt. Auch die Gattung war mir nicht wichtig. Es sind Bücher von André Breton dabei, die berühmte Aufbauanleitung von Marcel Duchamp, ein schwarzes Ringbuch mit Anweisungen, wie die Arbeit „Étant donnés“ zu installieren sei. Ich zeige Filme von Pasolini, Bresson oder Malick. Den zweiten Raum teilt sich Konzeptkunst von Frank Stella und Carl Andre, etwas, das ich vorher noch nie so gesehen habe. Ich mag ihre Größe. Der große Saal steht ihnen gut. Auch bei den jüngeren Positionen habe ich keine bestimmten Vorlieben. Christopher Williams ist für mich genauso wichtig wie Martin Honert. Gerade das Figurative seiner Skulpturen interessiert mich. Ich bin glücklich mit der Auswahl, aber sie hätte auch ganz anders sein können.

Gleich am Anfang trifft man auf einen Filmausschnitt aus „Die bitteren Tränen der Petra von Kant. Der Monitor hängt zwischen „Picture for Women“ (1979) und „The Destroyed Room“ (1979). Wie hat Sie Fassbinder inspiriert?
Seine Filme stehen gleichwertig neben Gemälden von Cézanne. Wenn ich sie sehe, fühle ich die gleiche Art von Reaktionen, das gleiche Vergnügen. Als ich den Film in den 70ern gesehen habe, zog mich die extravagant künstliche und absurde Atmosphäre an, die grellen Farben, das helle Licht und die seltsamen Schauspieler. Die Erinnerungen daran sind immer bei mir geblieben, weil sie so anders waren gegenüber einem realistischen Ansatz. Die Handlung spielt sich in einem einzigen Raum ab. „The Destroyed Room“ bezieht sich auf diesen zerstörerischen Frauenkosmos. Der Gegenpol dazu ist das dokumentarische Bild nebenan, das mich im Studio bei der Anfertigung eines Porträts zeigt. Es sind zwei gegensätzliche Haltungen, die ich nebeneinander zeigen wollte. Ich schätze es, wenn sich die Handschriften, ob Fotografie oder Film, unterscheiden. Ich wollte nicht einen einzigen Stil propagieren, auch wenn in den zehn Räumen der Realismus überwiegt. Ich möchte das Spektrum offen halten.

Im letzten Raum vermitteln die Schwarz-Weiß-Fotografien des letzten Jahrzehnts eine ungewöhnlich düstere Stimmung.

Nach dreißig Jahren Leuchtkastenbilder war ich dessen einfach überdrüssig und musste den Look ändern. So wie jemand, der in Öl malt, plötzlich entscheidet, auf Wasserfarben umzusteigen. Inszenierte Fotografie wie die von Cindy Sherman oder meine eigene ist auf dem Rückzug. Der Stil der Reportage sieht wieder frisch aus. Am Ende des Rundgangs sollte klar sein: So sieht meine Arbeit heute aus. Als ich zwanzig war und Robert Frank gesehen habe, dachte ich, Fotografie kann nicht mehr besser werden. Meine ersten Zeichnungen bezogen sich auf den Band „The Americans“. Obwohl ich Frank sehr bewunderte, fühlte ich, da schließt sich eine Tür für mich. Ich musste einen anderen Weg finden. Die Jüngeren sind heute mit einer sich rasant verändernden Technik konfrontiert. Für sie stellen sich diese Fragen anders. Ich versuche mir alles anzuschauen und nie nur in eine Richtung zu gehen.

Sie haben vier Jahre lang gemeinsam mit Kurator Joël Benzakin an der Auswahl gearbeitet. Gibt es ein Werk, das Sie nicht kriegen konnten?
„Las Meninas“ von Diego Velázquez. Das war sehr enttäuschend (lacht). Eines der Klischees über meine Bilder ist ja, dass sie sich auf alte Meister wie Delacroix und Manet beziehen. Es trifft teilweise zu, aber mein Werk sollte nicht darauf verkürzt werden.

BOZAR, Brüssel, bis 11. September. Im Herbst reist die Ausstellung ins Centro Galego de Arte Contemporénea in Santiago de Compastela