Herr Soulages, derzeit werden Sie in Frankreich als der große Nationalkünstler gefeiert. Nicht nur, dass das Centre Pompidou Ihnen eine riesige Retrospektive widmet, in Ihrer Geburtsstadt Rodez in Südfrankreich entsteht demnächst ein Museum zu Ihren Ehren.
Mir ist das eher unheimlich. Ich habe nämlich etwas gegen Künstlermuseen. Drei Jahre strömen die Leute hin. Aus Neugier. Damit hat es sich dann. Ich hatte partout keine Lust auf ein Mausoleum. Aus diesem Grund lehnte ich auch ein früheres Angebot des Bürgermeisters von Montpellier ab, der mir ein Museum errichten wollte. Zusammen mit meiner Frau machte ich lediglich eine Schenkung von 30 Werken für den neu errichteten Flügel im Fabre-Museum in Montpellier.
Dem Museum in Rodez haben Sie trotzdem zugestimmt!
Ja, weil ich das Gefühl hatte, dass der Bürgermeister von Rodez sich wirklich für die Genese meiner Werke interessiert. Er möchte dort meine Entwürfe für die Fenster der Abteikirche von Sainte- Foy de Conques nahe Rodez ausstellen, sowie meine Drucke und Gravuren samt Kupferplatten. Ich willigte also ein – unter der Bedingung, dass 500 von insgesamt 2200 Quadratmeter Ausstellungsfläche für zeitgenössische internationale Künstler zur Verfügung gestellt werden, deren Ausstellungen dann durch andere Länder ziehen sollen.
Was ist denn das Besondere an den Abteifenstern von Conques, von denen Sie sprachen?
Das Licht. Ich suchte für das Glas der Fenster ein Licht, das den Blick nicht nach draußen ablenkt. Die Fenster sollten eine Weiterführung des Gemäuers der intimen romanischen Architektur sein. Ohne Fluchtpunkte. Nach 800 Versuchen in sieben Jahren machte ich eine verblüffende Entdeckung. Mein farbloses, fast opakes Glas verfärbte sich bei Naturlicht. Bei starkem Lichteinfall warf das Glas einen leicht bläulichen Schimmer ins Innere, bei schwachem Licht einen wärmeren Ton, der ins Orange tendierte. Von außen vollzog sich dieser Prozess genau umgekehrt. Die Fenster schimmern also von beiden Seiten. Das gab es bisher noch gar nicht. Ein reiner Glücksfall.
Wenn es der Zufall ist, der Ihnen neue Impulse gibt, wo liegt dann Ihr Part als Künstler?
Der französische Nobelpreisträger Claude Simon sagte einmal zu mir, wir Künstler seien eigentlich Handwerker. Ich antwortete: Nein. Wir sind genau das Gegenteil. Ein Handwerker weiß, was er machen wird, wie er vorgeht. Er kennt das fertige Produkt. Wir aber wissen nicht, wie unser Bild oder Werk einmal werden wird. Wir wissen nicht, wohin es führt.
Picasso sagte einmal: „Ich suche nicht ...
... ich finde.“ Ich dagegen sage, das, was ich mache, lehrt mich, wonach ich suche.
Sie gelten als einer der Hauptvertreter der informellen Malerei, auf der ersten Documenta in Kassel 1955 wurden Sie wie ein zweiter Picasso erwartet. Doch die Amerikaner des abstrakten Expressionismus Franz Kline, Willem de Kooning oder Jackson Pollock rollten ihre riesigen Werke in den für die Franzosen bestimmten Räumen im Fridericianum aus und machten Ihnen und Ihren Kollegen die Vorrangstellung streitig. War das für Sie kein totaler Affront?
Nein, aber sicher war es ein Schock für Deutschland. Der zweite Schock nach der Nazizeit, in der gegenständliche Kunst dogmatisch vorgeschrieben wurde. Der erste Schock war die Ausstellung „Französische abstrakte Malerei“ von 1948, die von Stuttgart über Düsseldorf nach Kassel wanderte und in der ich neben Hartung, Kupka und Herbin meine Schwarz-Weiß-Malereien aus Walnussbeize auf Papier zeigte.
Die Amerikaner behaupteten damals, Sie seien ihr Nachfolger.
Die Behauptung war grotesk. Immerhin stammte das Plakat derAusstellung von 1948 von mir. Weder Pollock, Kline noch Rothko malten zu dieser Zeit abstrakt, sondern figurativ. Wissen Sie, ich war schon immer ein Individualist. Ich schloss ich mich nie einer Gruppe an, vertrat auch keine Theorien. Ich gehörte auch nie zur école française, deren Anhänger vom Fauvismus und Kubismus herkamen. Theoretiker verwandeln ein Kunstwerk in ein Dokument. Ein Bild ist aber genau das Gegenteil. Ich beschreibe nichts, ich male.
Zeitlebens malen Sie mit Schwarz. Was ist daran so faszinierend?
Das hat einen Ursprung in meiner Kindheit. Ich war fünf oder sechs Jahre alt und tauchte meinen Pinsel immer wieder ins schwarze Tintenfass, obwohl man mir Farbstifte schenkte. Einmal malte ich schwarze Linien in ein Schulheft. Meine ältere Schwester fragte mich: „Was machst du denn da, mein kleiner Pierre?“ Ich antwortete: „Schnee.“ Alle lachten. Heute weiß ich, dass ich das Papier, das leicht grau war, stärker weiß leuchten lassen wollte. Schwarz bedeutet für mich die Farbe des Lichts.
Das müssen Sie erklären.
Ich erzähle Ihnen von einem anderen Erlebnis. Viel später, im Jahr 1979, brachte ich ein Bild nicht zu Ende. Stundenlang malte ich Schichten von Schwarz über Schwarz. Und obwohl ich sehr müde war, malte ich immer weiter. Unzufrieden legte ich mich schlafen. Als ich aufwachte und mein Bild betrachtete, stellte ich fest, dass ich nicht mehr mit Schwarz malte. Ich malte mit Licht. Das Licht wurde von der Fläche reflektiert. Und je stärker ich die Acrylleinwand durchfurchte, mit Lederleiste, Bürste oder Spachtel Rillen oder Streifen zog, desto besser vibrierte das reflektierte Licht. „Outrenoir“ nannte ich diese neue Entdeckung.
Was meinen Sie mit outrenoir?
So, wie wir outre-Rhin, jenseits des Rheins, sagen, bekam Schwarz für mich eine neue Dimension. Ich meine damit ein „mentales Feld“, wo Licht, Zeit und Materie sich verweben. Mir kommt es auf die physische Konfrontation mit der Materie und dem Bild an. Meine Reliefstrukturen befinden sich ja vor der Fläche, nicht dahinter wie in der perspektivischen Malerei, die den Raum illusorisch hinter die Wand verlegte. Meine Bilder sollen nicht den Eindruck erwecken, dass sie „fliehen“. Sie sind vertikal.
Ergibt diese Vertikalität einen besonderen Sinn?
Nein, aber ich fühle mich von ihr angezogen. Wenn ich meine Bilder frei stelle, sind sie mit einem unsichtbaren Kabel zwischen Boden und Decke befestigt. Sie bilden einen rhythmischen Raum frei stehender Wände. Der Betrachter wird in das Bild hineingezogen, in die Fläche selbst. Der Sinn, den ich meiner Malerei gebe, ist nicht ihre Materialität, sondern ihre Präsenz, ihre Realität.
Aktuelle Ausstellung: „Soulages“, Centre Pompidou, Paris, bis 8. März. Dazu ist ein Katalog erschienen, 352 Seiten, 44,90 Euro. Kommende Ausstellung: „Pierre Soulages en son musée“, Rodez, Frankreich. Anfang Juli bis Ende September 2010