„Kein Larifari, voll in die Fresse!“

 

Über meinem Sofa in meinem Arbeitszimmer hängt ein Bild von Paule Hammer. Schwarz grundierte Leinwand, darauf ein paar Hundert (geschätzt, gezählt hab’ ich nicht) gelbliche Farbtupfer, Sterne, unterschiedlich groß. Auf jedem, auch dem allerkleinsten, in blauer Schrift: AUA.


So heißt auch das Bild. „AUA“. Paule Hammers Universum leuchtet und tut weh. Aber ganz so einfach ist es nicht, und als Schriftsteller tue ich mein Bestes, um Klischees zu vermeiden – oder zumindest zu brechen. (Sind es nicht die Klischees, die uns so gut unterhalten?) Also, mein Freund Paule Hammer ... nee, auch das führt zu nichts, lassen wir die Freundschaft mal weg, muss ja auch keiner wissen, dass ich ein Fan von dem Mann bin, das stellt doch nur meine Objektivität in Frage.

Langsam wird’s kompliziert, also fangen wir doch beim Anfang an, damals vor sieben Jahren, als ich ihn kennenlernte. „Hammer? Paule? Sag mal, du heißt doch nicht wirklich so, das ist doch ein Pseudonym!“ Doch, er heißt wirklich so, und nach ein paar Bier zeigt er mir seinen Ausweis, um es mir zu beweisen. Mensch, denke ich, was für ein Name, das ist doch der ... Ladies and gentlemen, the best name of a german artist goes to ... aber verdammt noch mal, jetzt wird’s schon wieder platt, und hier geht’s ja nicht um irgendein Namedropping (Paule Hammer hasst Anglizismen, darüber hinaus ist er Anarchist, weswegen ich oft mit ihm streite, und ein begeisterter Gärtner und Pferderennbahngänger, aber dazu später), hier geht’s um Kunst und Kraft und Emotionen. (Sag’ ich doch, der Name!)
 

Denn Emotionen sind’s, die die Kunstwerke Paule Hammers bei mir auslösen, seine Bilder, Porträts, Installationen, seine Raumgestaltungen, Skulpturen. (Der riesenhafte Kinski-Kopf mit Schlangenkörper verfolgt mich bis in meine Träume. Die Träume des Paule Hammer ... aber darauf kommen wir noch.)
Da spür’ ich eine Kraft, eine Urwüchsigkeit, die aber gleichzeitig das Filigrane und das romantische Element (tut mir leid, Paule, du bist ein Romantiker!) beinhaltet. Aber ich will hier nicht akademisch werden, denn das ist seine Kunst auch nicht. Auch wenn sie reich an Bezügen ist. Käpt’n Ahab zum Beispiel. Da hat er mal eine Ausstellung gehabt, im Laden für Nichts, mit anschließendem Massenabsturz, Ahab, der Suchende, Ahab, der Getriebene, was bedeutet nun der weiße Wal? Weltenverschlinger oder Traumbild?
 

Käpt’n Paule, vollbärtig, mit Wollpullover, farbbespritzt, immer klebt Farbe an seinen Klamotten, der Käpt’n und ich auf der Pferderennbahn. Da läuft doch tatsächlich ein Gaul namens Ahab im vierten Rennen. „Ein Zeichen“, ruft der Käpt’n und schwingt eine kleine Harpune (50- Euro-Schein, gerollt). Und ob Sie’s glauben oder nicht, der Gaul gewinnt! Verrückt, nicht wahr?, aber das Universum des Paule Hammer ist verrückt und voller Geheimnisse à la David Lynch. (Das Bild mit dem affenähnlichen Mann, der in einem geschlossenen Raum auf einem knatternden Moped sitzt, müssen Sie gesehen haben! www.ladenfuernichts.de.)
Paule Hammer findet nicht nur gewinnende Pferde. Einmal zog er nachts einen gewaltigen rostigen Dietrich, mindestens 100 Jahre alt, aus der Nische einer Kirchenmauer, als wir versuchten in diese Kirche (die Nikolaikirche, um genau zu sein) einzubrechen, weil sie Ostersonntag geschlossen hatte und wir Erlösung suchten. Reingekommen sind wir trotz zahlreicher Versuche nicht, aber es war eine gewaltige Liveperformance!
Einmal findet er, während wir nach Hause taumeln und über das große Kino (KINO!) der letzten 50 Jahre reden, ein Kinderbild (Buntstift auf Papier) auf dem Gehsteig, direkt neben dem offenen Kellerfenster eines leerstehenden, verfallenen Hauses. Das Bild ist von einem missbrauchten Kind, wird uns schnell klar. Große Klingen im Genitalbereich eines Monsters, daneben ein kleiner Mensch, blutend, auch im Genitalbereich, grelle Farben, Angst. Wir haben eine Weile vor dem Haus gestanden und in das Kellerfenster geschaut. Angst. Paule hat das Bild später gerahmt.
 

Eine seiner ersten Ausstellungen, die ich gesehen habe, war ein Raum, den er mit gefundenen Briefen, Bildern, Zeitungsartikeln und Fetzen, eigenen Bildern, Skulpturen und Schriften zu einem gewaltigen Konglomerat (das bedeutet „schillerndes Gebilde“, ich hasse die verklärende Kunstsprache!) des Alltäglichen und des alltäglichen Alptraums verdichtet hat. Kein Weg raus.

„Ladiiiies and gentlemen, here he is, the boxing artist, from Suhl, now in Leipzig ... Paule Hammer! Hammer!“ Haut den Hammer. Paule auf dem Weg zum Ring, die Massen toben. Wer hat den Mut, sich ihm zu stellen, jeder darf, alles live! Ringrichter, Ringsprecher (ich!), Punktrichter, Nummerngirls, Wettschalter und Livemusik mit Hymne inklusive. Paule gewinnt nach drei Runden gegen einen Mutigen aus dem Publikum.
„Ladiiiies and gentlemen ... the winner via split decision is ...“ Großes Spektakel, große Performance! Monate hat er unter fachkundiger Anleitung trainiert, kein Larifari, voll in die Fresse! Haut den Hammer, 2003. Was wär eigentlich passiert, wenn ein austrainierter Wettkampfboxer Hammers Herausforderung angenommen hätte? Aber ein Ringarzt war ja auch vor Ort.
 

Wie krieg’ ich jetzt wieder den Dreher zu Paules Bildern? Kunst als Kampf? Abgedroschen. Der Künstler, der sich immer neuen Horizonten öffnet und stellt? Ach nee, Klischee. Hat er nicht nötig und ich auch nicht. Sagt auch viel zu wenig aus über Paule Hammers ureigenen Stil und seine dennoch verschiedenen Facetten. Wollt ich nicht noch von seinen Traumcollagen aus Bildern und Texten erzählen („Ich war schwanger. Der Embryo saß im Unterbauch“), von seiner neuen Liebe zur Gärtnerei (einmal musste ich mitten in der Nacht von seinem Gemüse kosten, das er vor seinem Atelier zieht, „die verfluchten Schnecken machen mir alles kaputt!“)?
Aber ich kann ja später weitererzählen. Erfolgsgeschichte. Fortsetzungsroman.
 

Paule Hammer, „Weltenzyklopaedie“, Laden für Nichts,

Spinnerei Leipzig, 7. September bis 18. Oktober