Cory Arcangel

„Wäre ich klüger gewesen, hätte ich eine Internetfirma gegründet“

Herr Arcangel, Sie arbeiten mit neueren Medienphänomenen wie YouTube oder Weblogs. Fühlen Sie sich dennoch eingebunden in eine Tradition der Medienkunst?
Ohne Zweifel. Ich habe Musik studiert, und dabei John Cage, Nam June Paik und Karlheinz Stockhausen kennen gelernt. Meine Arbeiten beziehen sich häufig auf Kunstgeschichte, besonders auf Paik. Vor ein paar Jahren habe ich seine Closed-Circuit-Videoinstallation „TV-Buddha“ in der Berliner Neuen Nationalgalerie gesehen. Damals hatte ich bereits die Idee für eine Installation, bei der sich zwei Computer pausenlos gegenseitig Mails mit einer automatischen Abwesenheitsnotiz schicken. Nachdem ich Paik gesehen haben, realisierte ich die Idee.

Paik wirkt immer noch zeitgemäß, doch Medienkunst alter schnell: Was heute nach Zukunft aussieht, ist morgen schon so aufregend wie ein Bildschirmschoner in einem staubigen Behördenbüro.

In vielen meiner Arbeiten geht es um die Hinfälligkeit von Dingen – meine Kunst sieht ohnehin häufig schon nach Müll aus. Ich benutze den Museumskontext, um aus Abfall wieder Kunst zu machen. Das Kunstwerk selbst kann dann eine Performance zum Thema Zeit und Vergänglichkeit werden. Es kann zeigen, wie Kultur und Technik sich verändern.

Was passiert, wenn Sie Material aus dem Internet im Museumsraum ausstellen?
Auf diese Frage hätte ich Ihnen während der letzten zehn Jahre verschiedene Antworten gegeben, denn es braucht Zeit, die verschiedenen Kontexte zu verstehen und zwischen ihnen zu navigieren. Am meisten mag ich am Internet, dass Arbeiten dort keinen Kontext haben. Viele Leute, die meine Website besuchen oder Arbeiten von mir auf Facebook sehen, wissen gar nicht, dass sie es mit Kunst zu tun haben. Ich habe aus Youtube-Videos, in denen Katzen auf Klavieren herumlaufen, eine Collage gemacht, so dass die angeschlagenen Töne ein Stück von Schönberg ergeben. Dieses Video funktioniert in beiden Kontexten: Es thematisiert einerseits die Modernismus, aber auch das banale Zeug aus dem Internet. Dort wird es auf Katzenblogs herumgereicht. In meiner Ausstellung im Hamburger Bahnhof, Berlin, wird es dann aber ganz klassisch wie ein Kunstwerk präsentiert. Und wenn ich behaupte, etwas ist Kunst, müssen die Leute mir schon glauben – egal, ob sie die Kunst dann gut finden oder nicht. Aber das Internet ist in dieser Hinsicht eine Grauzone. Und das finde ich gut.

Ist das nicht die Qualität Ihrer Arbeit: dass Sie zeigen, wie nah sich Hoch- und Populärkultur, Avantgarde und Unterhaltung stehen?
Die Ähnlichkeiten interessieren mich, auf jeden Fall. Aber doch gibt es Unterschiede. Bildende Kunst hat ihr Archiv, ihre Geschichte, das Internet ist hingegen eher ohne Gedächtnis. Viele Videos aus Youtube ließen sich dennoch leicht im Kunstkontext präsentieren: Einer meiner Lieblingsbeiträge ist "Watching the paint dry", wo trocknende Farbe gefilmt wird. Und dann gibt es eine Serie des Künstlers Burt Barr, die genauso heißt – unabsichtliche Parallelen gibt es ohne Ende. Toll finde ich auch Internetvideos, bei denen Hi-fi-Fans Ihre Stereoanlagen filmen, wie sie Musikstücke spielen. Das ist natürlich nichts Kreatives, aber wenn man es aus dem Kontext reißt, kann man es wunderbar als Kunst betrachten.

Web 2.0 ist für Sie ein Glücksfall …
Absolut! Damit geriet alles außer Kontrolle. Klar, vorher gab es crazy Webseiten, es gab so etwas wie GeoCities, aber dann kam Myspace, und heute gibt es so viel da draußen, so viel! Wenn man ein gutes System findet, die Sachen zu kurieren, findet man ein aufregendes, berührendes, menschliche Dinge.

Sie kitzeln mit Ihrer Arbeit die spielerische Seite des Internets heraus, aber nie das Unheimliche. Terrorismus, Überwachung – das kommt bei Ihnen nicht vor.
Ich würde mir nur Ärger einhandeln, wenn ich mich damit beschäftigen würde: Man würde mich „Hacker“ nennen, und dann würde ich dafür kritisiert werden, weil ich nicht das abliefere, was die Medien für Hackertreiben halten. Ich bin eher im ursprünglichen Sinne des Wortes ein Hacker, der spielerisch und sorglos von Technologie Gebrauch macht. Hacker ist ein schwieriger Begriff, weil er für verschiedene Leute Verschiedenes bedeutet. Ich bin außerdem auch nicht so ein guter Programmierer.

Glauben Sie, das Internet entwickelt sich in die richtige Richtung?
Ich kann darauf nur als Künstler antworten: Je mehr Leuten in die Lage versetzt werden, sich auszudrücken und Ideen zu verbreiten, desto mehr Kultur steht dem Künstler zur Verfügung, durch die er sich durchwühlen kann. Um in der Welt zu sein. Je komplizierter und komplexer alles wird, desto interessanter.

Sie sind 1978 geboren. Haben sie manchmal das Gefühl, da kommt eine Generation nach Ihnen, die Sie nicht mehr verstehen, weil sie mit dem Internet aufgewachsen ist und ganz anders damit umgeht?

Wenn das nicht schon der Falls, dann werde ich wohl in diesem oder nächsten Jahr abgehängt. Dabei bin ich ein Computer-Nerd und meiner Generation eigentlich voraus. Ich habe schon immer vor dem Rechner gesessen. Aber ich bin bald ein alter Mann, der murmelt: „Ich verstehe eure Tumblr-Blogs nicht!“ Ich habe gerade erst mit dem Twittern angefangen – zwei, drei Jahre zu spät!

Auch das Image des Nerds hat sich geändert …
Er hat jetzt eine Internetfirma, verdient viel Geld und trägt hippe Klamotten. Wenn ich klug gewesen wäre, hätte ich ein Start-Up-Unternehmen gegründet.

Cory Arcangel: „Here Comes Everybody“, Hamburger Bahnhof, Berlin, bis 1. Mai. 2011