Youssef Nabil

„Wir brauchen ein neues Ägypten“

Herr Nabil, Sie wohnen in New York. Wann waren Sie das letzte Mal in Ägypten?
Seitdem ich das Land vor acht oder neun Jahren verlassen habe, besuche ich es einmal im Jahr für einen Monat. Ich war erst kürzlich in Kairo, bin aber Mitte Januar abgereist.

In Ihrer Arbeit geht es häufig um Erfahrung, die durch Massenmedien wie Kino oder Fernsehen vermittelt ist. Nun haben Sie auch die Revolution im TV erlebt ...
Ja, ich habe Al-Dschasira geschaut, in englischer Sprache. Und jeden Tag habe ich mit meiner Familie gesprochen. Es fühlte sich wunderbar an, die hunderttausenden Menschen in den Straßen und auf dem Tahrir-Platz zu sehen. Mein Zwillingsbruder war auch dort und hat protestiert. Es war ein unglaublicher Moment, als Mubarak dann zurückgetreten ist. Man wusste, es würde passieren, man kannte das Szenario.

Sie sind 1972 geboren – die meisten Demonstranten waren in Ihrem Alter. Haben Sie damals Ägypten aus Unzufriedenheit verlassen?
Jeder, der aus seinem Land fortgeht, sucht etwas anderes. Ich habe Ägypten wegen meiner Arbeit verlassen. Ich wollte mich frei fühlen. Ich habe 30 Jahre in diesem Land gelebt, es ist mein Zuhause. Aber als Künstler hatte ich keinerlei Beziehung zu staatlichen Einrichtungen wie das Kulturministerium, ich wusste, dass ich niemals mein Land auf einer Biennale offiziell repräsentieren würde oder in einer staatlichen Institution ausstellen kann.  Für mich war es also das Beste, Ägypten zu verlassen und dem Land in meiner eigenen Weise verbunden zu bleiben.

Waren Künstler frei im nun gestürzten System?
Ja, es war durchaus möglich, die Regierung offen anzugreifen. Es ging also weniger um die Freiheit, sich auszudrücken. Es war schon schwierig einige Themenkomplexe in Ausstellungen zu zeigen und direkt zu benennen, aber nicht wegen Mubarak, sondern den sozialen Veränderungen, die in unserem Land stattfanden: Viele Menschen sind streng religiös geworden, und das ist ein neues Phänomen.
 
Ihr Werk beinhaltet auch Aktaufnahmen. War das ein Problem?
Ich habe es immer hingekriegt, ein oder zwei freizügige Aufnahmen in meinen Ausstellungen zu zeigen. Aber, sicher, das ist nicht ganz einfach heutzutage in Ägypten.
 
Sie feiern in Ihrer Arbeit das Ägypten der 50er-Jahre, in denen es offenbar freier zuging. Sind Sie nostalgisch?
Definitiv. Generell bin ich eine nostalgische Person. Ich denke immer an die Vergangenheit, an das, was wir hier in New York vermissen. Und ich denke immerzu an Ägypten. Und bin ich dort, versuche ich mir ständig vorzustellen, wie es in den alten Zeiten wohl gewesen sein mochte. In den 50er-Jahren waren die Leute freier im Denken und gelassener. Es war eine romantische Zeit, überall auf der Welt.

Meinen Sie, der Umbruch könnte auch einen Geist wieder beleben, der in den 50ern geherrscht haben muss?
Ich glaube nicht, dass irgendeine Gesellschaft sich zurück in der Zeit bewegen kann. Wir sind durch so viele Kriege, Konflikte und Veränderungen gegangen – das Land wird nie mehr das Gleiche sein. Aber was wir jetzt erleben, kann nur positive Ergebnisse bringen. Ich bin mir bewusst, dass es eine schwierige Zeit ist, es braucht jetzt einige Jahre, bis alles in die richtige Richtung geht. Aber diese Revolution ist das Beste, was uns je passiert ist. Muslime und Christen, Leute von unterschiedlichsten sozialen Schichten – sie alle hatten gemeinsam ein Ziel: Veränderung. Das ist doch entscheidend in Demokratien. Die Menschen müssen ihr Denken ändern. Es geht doch nicht nur um Mubarak. Wir brauchen jetzt junge Führungskräfte, wir brauchen ein neues Ägypten.