Nicolas Provost im Interview

„Zuerst waren die Bilder da“

Herr Provost, „The Invader“ handelt von einem afrikanischen Flüchtling, der sich in Brüssel in eine Geschäftsfrau verliebt. Wie entstand die Idee zu dieser Geschichte?
Das Außenseitertum ist mir sehr vertraut, weil ich selbst zehn Jahre in Norwegen gelebt habe und erfolglos versucht habe, mich dort zu integrieren. Aber ich wollte auf keinen Fall eine weitere Einwanderergeschichte erzählen oder einen politischen Film machen. Ich bin bildender Künstler und wollte eine weitaus universellere Geschichte über einen Mann auf der Suche nach seinem Platz in dieser Welt erzählen, und das in der Tradition der Antiheldenfilme, die ich so verehre. Ich fühlte mich schon als Kind immer anders als die anderen, interessierte mich für andere Dinge, hatte einen anderen Blick auf die Welt. Das hat mich nie verlassen.

Wie würden Sie Ihr Spielfilmdebüt im Vergleich mit den Videos wie „Stardust“ einordnen, die sich oft zwischen Fiktion und Realität bewegen und ebenfalls einen stark narrativen Charakter haben?
„The Invader“ ist für ein breites Publikum gemacht und nutzt klassische Erzählstrukturen. Ich wollte nicht die Art des Filmerzählens neu erfinden, sondern eine klassische Geschichte nutzen, um damit meine visuelle Kunst einzuschmuggeln. In meiner visuellen Kunst bin ich keinerlei Restriktionen unterworfen, was Länge und Dramaturgie angeht und ich nutze unser kollektives Kinogedächtnis und kreiere mit Bildern und Tönen eine Filmskulptur, wie ein Bildhauer.

Die Grenzen zwischen Kunst und Film verwischen immer mehr.

Seit ein paar wenigen Jahren, ja. Aber ich hatte das eigentlich schon viel früher erwartet, mit der digitalen Revolution vor zehn, 15 Jahren als plötzlich jeder mit einem Camcorder und einem Computer Filme machen konnte. Wir dachten, da lassen sich jetzt ganz viele neue Talente entdecken. Aber das ist nicht passiert. Die Künstler, die sich am Erzählkino versuchten, waren nicht besonders interessant. Das beginnt jetzt, mit Apichatchong Weerasethakul, Steve McQueen und anderen.

Werden umgekehrt Ihre Erfahrungen als Spielfilmregisseur Ihre Arbeit als Künstler beeinflussen?
Das kann ich noch gar nicht sagen. Ich versuche, beides unter einen Hut zu bekommen. Aber ich weiß nicht, ob das parallel funktionieren kann oder ob sie verschmelzen oder ob ich mich für eines der beiden entscheiden muss.

Sie schaffen einen sehr starken Kontrast zwischen der Welt der Geschäftsfrau mit teuren Restaurants und Luxusapartments und der morbiden Unterwelt der Illegalen…
Das war auch der Ausgangspunkt. Zuerst waren die Bilder da, erst dann habe ich eine Geschichte dazu gesucht. Ich wusste, dass die Reise meines Protagonisten durch diese Locations geht und musste mir eine plausible Handlung dazu überlegen. Die Sets sind für mich mindestens so wichtige Charaktere wie die Figuren selbst.

„The Invader“, Regie: Nicolas Provost, Belgien 2011. Zu sehen auf dem Filmfest Hamburg am Donnerstag, 6.10., um 19 Uhr im Kino Passage 1 und am Samstag, 8.10. um 22 Uhr im CinemaxX 3