Arte-Dokumentation

AMEN! - Die Kunst und ihr Heimweh nach Gott

So ist das eben mit den Sprösslingen: Irgendwann werden sie flügge und verlassen das heimische Nest. Bis zum pubertären Freiheitsstreben der westlichen Kunst vergingen immerhin ungefähr 1500 Jahre unter der Obhut der christlichen Religion.


Nun liegen die Zeiten adoleszenten Aufbegehrens bereits ein paar Jährchen zurück. Die Erinnerungen an das Joch der elterlichen Unterdrückung verblassen allmählich und langsam, aber sicher keimt die Sehnsucht auf nach den alten Tagen, in welchen strikte Regeln das Leben strukturierten – der Lohn für diese Zugeständnisse war schließlich die geringere Last der Eigenverantwortlichkeit, die nun schwer auf den eigenen Schultern wiegt.
Sehnen sich auch die Künstler zurück an den heimischen Herd – oder warum hält die religiöse Motivik, nachdem Künstler sie lange mieden wie der Teufel das Weihwasser, nun Einzug in zeitgenössische Werke?


Dieser Frage geht Julia Benkert in ihrem Dokumentarfilm „Amen! Die Kunst und ihr Heimweh nach Gott“ (2009) nach. Sie begleitet Pater Friedhelm Mennekes, auch als „Galerist Gottes“ bekannt, bei Künstlerbesuchen in Europa und Amerika. Mennekes hat sich mit seiner Kunst-Station in der Kölner Kirche Sankt Peter um ein neues Verhältnis von Kunst im Kirchenraum bemüht, profane Werke im sakralem Raum installieren lassen. „Man kann nicht von Kunst reden und sakrale Kunst ausstellen. Das ist nämlich keine Kunst“, so der mittlerweile 70-Jährige im Gespräch mit Monopol. Das sei „[...] als müsste man für die einfachen Leute die alte Masche der Illustration weiterreiten.“

 

Kunst zwischen Kirchentreue und Ketzerei
Wie Kinder sich von ihren Eltern lossagen, musste sich auch die Kunst zunächst von ihrer religiösen Instrumentalisierung befreien. Durch ewige Wiederholung ihrer Wirksamkeit beraubte Symbole erfahren nun durch intellektuelle Reflexion eine Renaissance. Kruzifix, Dornenkrone, Weihrauchpendel – keine Ikone christlichen Glaubens ist vor Neuinterpretationen zeitgenössischer Künstler sicher.


Die Motivation der Künstler, das macht Benkerts Dokumentation deutlich, reicht dabei von dem eigenen, tiefen Glauben bis hin zu dessen Erschütterung. „Wenn es Gott gibt, wie konnte er die Shoah zulassen?“ fragt Christian Boltanski, als er in der Krypta des Salzburger Doms einen Schattentanz installiert. Während seine Schlussfolgerung eine konsequente Abkehrung vom Glauben ist, verarbeitet die polnische Künstlerin Dorota Nieznalska ihre Kindheit in einer erzkatholischen Familie und ihre Ambivalenz gegenüber religiöser Doppelmoral in einer Serie metallener und gläserner Dornenkränze. Für ihre Arbeit „Pasja“ („Passion“), eine Installation bestehend aus einem griechische Kreuz mit einem eingefügten Foto männlicher Genitalien und einem Video, dass Männer stöhnend beim Training im Fitness-Studio zeigte, wurde sie 2003 von einem polnischen Gericht verurteilt. Der Vorwurf: Blasphemie. Der Danziger Richter begründete dieses Urteil: „Es besteht kein Zweifel, dass das Kreuz verunglimpft wurde.“

 

Wer glaubt, dies sein ausschließlich die Problematik kirchlich geprägter, ehemaliger Ostblockstaaten, der irrt: Auch Friedhelm Mennekes sah sich schon mit dem Vorwurf der Gotteslästerung konfrontiert, als er es sich erlaubte, eine Arbeit von Cindy Sherman, die die Künstlerin mit entblößter Plastikbrust zeigt, in seinem Kirchenraum aufzuhängen. Sie könne hier nicht mehr beten, habe ihm eine alte Frau gesagt und dies mit einer Geste jugendlichen Aufbegehrens an die Fassade geschrieben. Das habe ihn sehr verletzt, so Mennekes.

 

Spiritualität statt Religiösität 

Aber nicht immer sind die Gräben zwischen zeitgenössischer Kunst und kirchlichem Ritus unüberwindbar, wie der Österreicher Hermann Nitsch mit seinem Orgien-Mysterien-Theater – von der Kirche toleriert, mit einem eigenen Museum geehrt – beweist. Nitsch geht es in seinem blutigen Spektakel um eine spirituelle Erfahrung, in welcher „unterbewusste Bedürfnisse nach Grausamkeit zur Anschauung gebracht werden.“

 
Weniger grausam, aber ähnlich spirituell wird es, wenn Bill Viola in seinen Videoarbeiten Menschen in Licht reflektierenden Wasserfällen verschwinden und auftauchen lässt. Der 59-Jährige, inspiriert von den großen Mystikern, will Unsichtbares sichtbar machen. Religion, so Viola, sei zentrales Element der menschlichen Natur; Angst und Staunen Antrieb für jede Wissenschaft.

 

Was aber ist der Antrieb der Künstler, sich auf Religion zurückzubesinnen? Julia Benkerts Film gibt mögliche Antworten: Im Kleinen sind es oft individuelle Glaubensfragen, im Großen zum Beispiel die Erschütterung der Gesellschaft durch die Anschläge des 11. Septembers oder die Weltwirtschaftskrise.

Aber genauso wie Kinder von der Lebenserfahrung der Eltern profitieren, können diese einen Gewinn aus der Neugier ihrer Nachkommen ziehen. Es handelt sich um eine klassische Win-win-Situation: „Die aktuelle Kunst will Ewigkeit und bekommt sie von der Kirche; die altmodisch gewordene Kirche will Aktualität und bekommt sie von der Kunst“, so Mennekes.
 

 

"AMEN! – Die Kunst und ihr Heimweh nach Gott", Montag, 29. März, um 23:00 Uhr auf arte. Mehr Informationen auf www.arte.tv