So sieht also eine Welt aus, in der eine der schönsten US-amerikanischen Erfindungen, nämlich Pop, den Körpern, dem Raum, der Sprache, der Kleidung, der Musik entzogen ist: Die Amtseinführung von Donald Trump im Washingtoner Kapitol bestimmten an diesem Montag Chöre und Tenöre, Marschmusik und Country-Geträller, Manager in Anzügen und Priester in liturgischen Gewändern, Frauen in den spießigsten Kostümen oder in diesen frivolen, pseudokeuschen, kinky Looks, den Republikanerinnen oft zur Schau stellen. Oder ist es vielmehr eine Welt, in der Pop so gegenwärtig ist, dass er nicht mehr sichtbar ist? Beides stimmt wohl: Pop, dieses dumme, aber schlaue Wandelwesen, hat einfach einmal mehr seine Erscheinungsform geändert.
Nach Trumps Wiederwahl im November hieß es vielerorts, dass die Kunst und insbesondere die Popkünste, die doch Millionen von Menschen erreichen, versagt haben – als wäre Pop eine öffentliche Institution, von der es etwas zu fordern gäbe: Nicht Taylor Swift, nicht die brat-Attitude von Charli XCX, nicht das liberale Hollywood, nicht die gar nicht mehr so aufgebrachte Kunstwelt habe Trump verhindern können. Das ist richtig, aber anderseits ist Pop auch immer weiter an die MAGA-Welt herangerückt: von Beyoncés Country-Album bis zu irrlichternden Trump-Supportern wie M.I.A. und Kanye West. Sichtbar wird diese Entwicklung aber vor allem in dem Wandel von Nerds wie Mark Zuckerberg und Elon Musk, die sich trotz ihres popkulturellen Wissens zu Alphamännern entwickelt haben.
Im Kapitol waren bei dieser Zeremonie zwar so gut wie keine Künstler oder Hollywood-Größen zu sehen, aber Pop saß mit den Oligarchen aus dem Silicon Valley ganz nah am Geschehen. Die popgesättigten, spinnösen Utopien der Hippies aus dem San Francisco der 1970er-Jahre, die in Garagen ihre kleinen, tollen Firmen gründeten, sind zwar kaum noch wiederzuerkennen im Habitus dieser Tycoone, aber Kontinuitäten sind unleugbar, etwa wenn Musk in seinem X-Gespräch mit Alice Weidel Anfang Januar auf Douglas Adams "Per Anhalter durch die Galaxis" verweist. Dass er darauf von der AfD-Chefin keine Reaktion erntet, ist auch symptomatisch dafür, wie der Pop, wie wir ihn kannten, versandet, seine Bedeutung verliert.
Die neuen Künstler
Vor kurzem noch waren Künstler die autonomsten, freiesten und deshalb auch coolsten Menschen, denn sie konnten aus dem Nichts Werte, Sinn und Welten schöpfen, unabhängig von Herkunft, Geld, Sex, Schönheit und anderen Voraussetzungen. Deshalb haben Unternehmer und wohlhabende Menschen stets ihre Nähe gesucht. Im vom Trump nun bei seiner Amtseinführung ausgerufenen "goldenen Zeitalter" kommt die einstige Rolle des Künstlers nun dem Krypto-Bro und disruptiven Tech-Unternehmer zu, die – vermeintlich – genauso wundersam das Neue in die Welt bringen. Der "Meme Coin $Trump", den der neue US-Präsident gerade anlässlich einer Amtseinführung veröffentlich hat, ist jetzt schon Milliarden wert. In dieser Welt haben Ingenieursträume wie die Besiedelung des Mars' zwar noch Platz, aber das Versprechen von Möglichkeiten, das Kunst in sich trägt, endet dann schon bei der binären Geschlechterordnung.
In der Enge der Rotunde des Kapitols, in dem die Amtseinführung wegen des schlechten Wetters verlegt wurde, waren diese neuen Verhältnisse nun ganz verdichtet: keine Zeile Poesie, kaum Raum für Mehrdeutigkeiten, keine große Kunst, nichts, was unser Leben schöner macht, stattdessen Aggression, Egoismus, plumpe Symbolik und Gottvertrauen – und damit Leugnung eigener Verantwortung.
Es ist nicht so, dass die Ästhetik Trump egal wäre – ganz im Gegenteil: Über die wegen des Tods des Ex-Präsidenten Jimmy Carter an diesem Tag noch auf Halbmast hängenden Flaggen auf dem Weißen Haus hat er sich vorab endlos aufgeregt. Trumps Gespür für Symbolik ist offensichtlich. Was wir hier gesehen haben, ist der genau so gewollte Look dieses neuen "goldenen Zeitalters". Und die traurige Wahrheit ist, dass viele Menschen das richtig finden.
Einen der wenigen Popmomente lieferte dann ausgerechnet Melania Trump mit ihrem dunklen Hut (eine Kreation des US-Designers Eric Javits), der so tief im Gesicht saß, dass man die Augen der First Lady kaum sehen konnte. Sie schenkte dieser nicht nur aus ästhetischen Sicht so langweiligen und geschmacklosen Veranstaltung dann doch noch Ambivalenz und einen Hauch von Verwegenheit.