Sigmar Polke Retrospektive in New York

Anarchischer Alchemist

Wenn das MoMA ankündigt, Sigmar Polke eine der größten Ausstellungen zu widmen, die es je organisiert hat, will das etwas heißen. Mehr als 250 Werke, vom handlichen Notizbuch bis zum Monumentalgemälde, Videos, Zeichnungen, Drucke, Skulpturen, entstanden zwischen 1963 und 2010, werden die zweite Etage des New Yorker Museums füllen. Schon der Titel der Schau, "Alibis", macht deutlich: Polke ist nicht so leicht zu fassen, das Wort Maler wird dem Stil- und Medienpluralisten keinesfalls gerecht. Der vor vier Jahren gestorbene Künstler wurde auch als "letzter großer Alchemist" bezeichnet – wegen seiner Experimente mit Phosphorfarben und Eisenglimmer. Und als "deutscher Anarchist" – ein Erbe des Dada. Scharfe Ironie war tatsächlich ein Schlüsselelement seines Schaffens.

Das MoMA verspricht nun eine Retrospektive, die das Œuvre des 1941 geborenen Polke in allen Facetten präsentiert. Jede Periode wird chronologisch vorgestellt, ohne nach Materialien oder Techniken zu trennen. Eine der frühesten Arbeiten, die zu sehen sind, ist ein Porträt des Kennedy-Attentäters Lee Harvey Oswald von 1963. Polke zeichnete das Bild nach einer Zeitungsfotografie und verwendete dabei anstelle von Linien die für sein späteres Werk charakteristischen Punkte – er hatte sie aus der Drucktechnik entlehnt.

In der Schau findet Polkes Kritik an den vermeintlich transzendenten Werten abstrakter Kunst ("Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!", 1969) ebenso Platz wie seine Auseinandersetzung mit der Rolle des Künstlers in der Gesellschaft, die sich anhand seiner fotografischen und filmischen Selbstporträts aus den späten 60er-Jahren nachvollziehen lässt. Aus den 70ern stammt die Mehrzahl der 13 Videos (acht von ihnen waren bisher nicht zugänglich), die Polke auf seinen Reisen nach Pakistan, Afghanistan und Brasilien drehte. In den oft doppelt belichteten Filmen studierte er den Umgang verschiedener Kulturen mit halluzinogenen Drogen. Die 80er-Jahre kennzeichnen einerseits abstrakte Kompositionen, andererseits figürliche Arbeiten, die nach den Folgen des globalen Tourismus und der Atomkraft fragen. Polkes Spätwerk ist mit der monumentalen "Jagd auf die Taliban und Al Qaida" von 2002 vertreten, einem der ersten seiner Maschinengemälde, die der Künstler mittels Computer, Fotografie und Druck produzierte.

"Alibis: Sigmar Polke 1963-2010", Museum of Modern Art, New York 19. April bis 3. August. Anschließend: Tate Modern, London, 9. Oktober bis 8. Februar 2015. Museum Ludwig, Köln, 14. März bis 15. Juli 2015