Meinhard von Gerkan wird 80

Architekt aus Leidenschaft

Hamburg/Berlin (dpa) - «Wir fühlten uns im siebten Himmel der Architektur.» Meinhard von Gerkan schwärmt noch heute über seinen ersten Flughafen. Mit Anfang 30 hat er ihn ab 1965 gebaut: Berlin-Tegel. Bei vielen genießt er Kultstatus, der «Flughafen der kurzen Wege», termingerecht fertiggestellt und fünf Prozent günstiger als geplant.

50 Jahre später ist Stararchitekt Gerkan wieder mit einem Berliner Flughafen in den Schlagzeilen, doch der macht ihm längst nicht so viel Freude: Nach mehreren geplatzten Eröffnungen des neuen Hauptstadtflughafens und Mehrkosten in Milliardenhöhe spricht Gerkan, der am 3. Januar seinen 80. Geburtstag feiert, von einem «Alptraum».

«Ich wurde Architekt aus Leidenschaft und bin es seitdem immer geblieben, bis zum heutigen Tag», betont der Mann mit der Brille und dem vollen, inzwischen weißen Haar in seinem Buch «Black Box BER» (Quadriga Verlag, August 2013), in dem er gnadenlos abrechnet.

Dass er, der einzigartige Bauwerke in aller Welt errichtet, nach der geplatzten Eröffnung des Hauptstadtflughafens fristlos vor die Tür gesetzt wurde, hat ihn schwer getroffen. Gerkan, den Beobachter als ebenso gewinnend wie eitel und impulsiv beschreiben, spricht von Willkür und Demütigung.

Am 3. Januar 1935 wird Meinhard von Gerkan im lettischen Riga geboren. Seine Kindheit ist geprägt von den Katastrophen des Zweiten Weltkrieges: Der Vater kommt 1942 als Soldat an der Ostfront ums Leben, die Mutter stirbt kurz nach der Flucht von Posen nach Niedersachsen.

Der Junge wächst in Pflegefamilien auf, seit 1949 in einer Hamburger Pfarrersfamilie. Er besucht mehrere Schulen, macht schließlich 1955 sein Abitur an einem Abendgymnasium. Zunächst studiert er Jura und Physik in Hamburg, entscheidet sich dann für ein Architekturstudium in Berlin. Hier lernt er auch seinen späteren Partner Volkwin Marg kennen; zusammen gehen beide an die TU Braunschweig.

Nach dem Diplom gründen die Beiden in Hamburg ihr bis heute weltweit renommiertes Büro gmp (Architekten von Gerkan, Marg und Partner). Es folgt eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Heute arbeiten mehr als 400 Mitarbeiter in aller Welt für das Büro, das 325 erste Preise in Wettbewerbsverfahren gewonnen und mehr als 370 Bauten fertiggestellt hat. Darunter sind die Neue Messe Leipzig mit ihrer gewaltigen gläsernen Tonne über dem Mitteltrakt, die Flughäfen in Hamburg und Stuttgart, der Berliner Hauptbahnhof, der Umbau des Berliner Olympiastadions sowie Bauwerke in Asien, Südafrika und Brasilien.

«Wir versuchen, jede Entwurfsaufgabe auf möglichst wenige Kernfragen zu verdichten, um darauf die selbstverständliche Antwort zu finden», beschreibt Meinhard von Gerkan das Konzept. Experten bescheinigen dem Büro, sich von den zu engen Konventionen modernistischer Architektur befreit und die eigenen Entwürfe, basierend auf den bevorzugten Materialien der Moderne, Stahl und Glas, stärker in Bezug zum konkreten historischen Umfeld gebracht zu haben.

In seiner Antrittsvorlesung 1974 an der Braunschweiger Hochschule forderte Gerkan, die Arbeit der Architekten müsse «darauf gerichtet sein, Architektur dem Denk- und Handlungsraum von Konsumware zu entreißen und ihr die Wertstelle von Kulturgut zu geben.»

Wegen seines Perfektionismus und seiner temperamentvollen Art gilt Meinhard von Gerkan als nicht immer einfach. Das zeigt sich manchmal an Kleinigkeiten. Als ihn vor Wochen im Flughafen-Ausschuss von Berlin der Vorsitzende fröhlich mit «Guten Morgen» begrüßt - um 12.07 Uhr - gibt Gerkan schneidend zurück: «Guten Tag, allerseits.»

Legendär der Prozess um den Berliner Hauptbahnhof. Schon die Eröffnungsfeier hatte Gerkan boykottiert, weil der damalige Bahnchef Hartmut Mehdorn eigenmächtig das Gleisüberdach verkürzt hatte und zudem im Untergeschoss die geplante filigrane Gewölbedecke strich - zugunsten einer simplen Flachkonstruktion. Im Prozess kommen Gerkan die Tränen, er gewinnt in erster Instanz, später gibt es einen Vergleich.

Wie viel die Bahn zahlte, um die Flachdecke behalten zu können, ist nicht bekannt. Mit seiner Klage gegen die «mutwillige, nicht abgestimmte Verschandelung» schuf Gerkan 2006 einen spektakulären Präzedenzfall des Architekten-Urheberrechts. Mehdorn wurde später wieder sein Prozessgegner: als Chef der Berliner Flughäfen.

Mittlerweile baut Gerkan, der zum zweiten Mal verheiratet ist und sechs Kinder hat, lieber in Asien. Dort entsteht etwa Lingang New City nahe Shanghai nach seinen Plänen, eine komplett am Reißbrett entworfene Stadt für 1,2 Millionen Menschen. Vorwürfe, er toleriere kritikwürdige Arbeitsbedingungen und diene autoritären Regimes, kontert Gerkan mit Willy Brandt: «Wandel durch Annäherung» statt «Kalter Krieg der Kulturen». (Carola Große-Wilde und Burkhard Fraune, dpa)