Michael Riedel in der Schirn Kunsthalle Frankfurt

Aufnehmen – Labeln – Abspielen

Seine Initiation als Künstler hatte er 1997. Damals hielt er an der Frankfurter Städelschule einen Vortrag über Möglichkeiten. Er stülpte sich eine Papiertüte über den Kopf, auf der „michael s. riedel“ stand, und behauptete: „Ich bin Michael S. Riedel.“ Die Person unter der Tüte wurde unsichtbar, und der Hermann-Nitsch-Student schlug sich durch einen Sprechakt selbst zum Künstler. Doch Riedels Aktion war mehr als eine sprachtheoretische Spielerei: eine frühe Manifestation seiner Methode „Aufnehmen – Labeln – Abspielen“.

In diesem Sinn ist auch der Titel von Michael Riedels erster Werkausstellung zu verstehen: „Kunste zur Text“. Die Frankfurter Schirn zeigt keinesfalls eine quasiwissenschaftliche Sezierarbeit, wie die Anspielung auf die Fachzeitschrift ähnlichen Namens erwarten lassen könnte. Der Titel offenbart Riedels Arbeitsweise. Egal welche Formen seine Kunst konkret annimmt, die Grundlage ist immer ein Text. So hat Riedel die Schirn-Wände mit dem Quellcode einer Internetseite tapeziert. Einer Seite, die auf die Ausstellung verweist, in der man sich gerade befindet. Direkt hinter dem Eingang läuft eine PowerPoint-Präsentation, in der Riedel seine Arbeiten vorstellt – schließlich ist die Schau ironisch als „erste“ Retrospektive gelabelt. Auch diese banale Form der modernen Bürokommunikation schraubt Riedel einen entscheidenden Dreh weiter. Aus den standardisierten Übergängen, mit denen das Programm Riedels Arbeiten ineinanderschneidet, macht er Gemälde, „PowerPoint Paintings“ – Variationen von bereits Vorhandenem, B-Versionen, wie er sagt.

In einem Abstellraum wird die Parallelwelt der „Oskar-von-Miller-Straße 16“ wieder zum Leben erweckt. Hier hatte Riedel zu Beginn seiner Karriere Ausstellungen von Simon Starling, Rirkrit Tiravanija und Jason Rhoades nachgebaut. Berühmt wurde Michael Riedels Aktion während der Eröffnungsfeier einer Gilbert-&-George-Schau im Frankfurter Portikus 2002, auf der Doppelgänger die Handlungen der britischen Künstler nachspielten. Wenn das schon die B-Version war, dann ist die Wiederholung in „Kunste zur Text“ die C-Version.

Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main, 15. Juni bis 9. September