Fotografie-Pionierin Anna Atkins

Aus dem Blauen heraus

Anna Atkins gilt als die erste Frau, die ein fotografisches Verfahren wissenschaftlich nutzte. Der Taschen Verlag würdigt diese Leistung mit einer prächtigen, zweieinhalb Kilo schweren Gesamtausgabe

Ob die Expressionistengruppe Der Blaue Reiter, das von Yves Klein patentierte "International Klein Blue" oder das Blau, das laut Kurt Schwitters "die Farbe deiner gelben Haare" ist – Blau spielt in der Kunst- und Kulturgeschichte immer wieder eine wichtige Rolle. Sie gilt als die erste synthetisch hergestellte Farbe überhaupt, und bei den Künstlern der Renaissance war Blau wegen seiner edlen Eigenschaften sehr begehrt. Geradezu königlich war auch das Berliner Blau (auch Preußisch Blau genannt), das vermutlich 1706 von Johann Jacob Diesbach zufällig entdeckt wurde – es wurde ein großer kommerzieller Erfolg und sowohl von Katsushika Hokusai für den Druck von "Die große Welle vor Kanagawa" als auch von Picasso in seiner Blauen Periode verwendet.

Doch auch bei der Erfindung (Klaus Honnef schrieb 1977 schelmisch von der Entdeckung) der Fotografie vor 180 Jahren spielte genau dieses Berliner Blau eine wichtige Rolle. Damals forschten in Frankreich und England verschiedene Männer mit viel Tagesfreizeit und ausreichenden finanziellen Mitteln mit lichtempfindlichem Material. Joseph Nicéphire Niépce nutzte Lavendelöl und Naturasphalt auf Zinnplatten – sein "Blick aus dem Arbeitszimmer von Le Gras" aus dem Jahr 1826 gilt als älteste erhaltene Fotografie überhaupt. Aus der anschließenden Zusammenarbeit mit Louis Daguerre entstand die Daguerreotypie als erste kommerziell nutzbare Technik, die am 19. August 1839 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde – und die ein riesiger Erfolg wurde.

Bereits vier Jahre zuvor entwickelte William Henry Fox Talbot, ein typischer "Gentleman of Science", in England die Kalotypie – die eigentlich bedeutendere Technik, denn es war ein Negativ-Verfahren, das beliebig viele Abzüge erlaubte – im Gegensatz zur Daguerreotypie, die "nur" Unikate erzeugte. Doch weil sich Talbot zwischenzeitlich lieber der Entschlüsselung der assyrischer Keilschrift widmete, ließ er seine fotografischen Experimente zunächst ruhen und wurde schließlich von Daguerres Erfolg überrascht. Es sollte weitere 20 Jahre dauern, bis sich die Negativ-Positiv-Fotografie durchsetzte – und die erst von der Digitalfotografie abgelöst wurde.

Cyanotypie produzierte schneller und präzisere Abbildungen von Pflanzen

Allerdings war Talbot sowohl mit dem Universalgelehrten John George Children als auch mit dem Astronomen John Herschel eng befreundet. Letzterer ermutigte Talbot nicht nur, sein Verfahren zu verbessern, sondern gilt auch als Erfinder der Begriffe "Fotografie", "Positiv" und "Negativ". Außerdem entwickelte Herschel 1842 das dritte Verfahren zur Herstellung von stabilen fotografischen Bildern – die Cyanotypie. Wurde das dafür verwendete Eisensalz dem Sonnenlicht ausgesetzt, entstand das Pigment Berliner Blau und somit die für Cyanotypien typische Ästhetik.

Aufgetragen auf Papier konnte Herschel somit Fotogramme anfertigen. Bis heute kennen wir den Begriff der Blaupause, der sich davon ableitet. Da für die Cyanotypie kein kostbares Silber verwendet wurde, war das Verfahren äußerst preiswert und zudem sehr leicht zu beherrschen. Allerdings hatte das Verfahren auch entscheidende Nachteile: Man erhielt immer nur ein Negativ-Abbild, es waren Unikate und es wurde keine Kamera verwendet, so dass die dargestellten Objekte auf das beschichtete Papier gelegt werden mussten. Aus heutiger Sicht klingt das ziemlich einschränkend.

Doch nicht für Anna Atkins. Durch die Freundschaft zwischen Herschel und ihrem Vater erfuhr die damals 43-Jährige wohl von der neuen Entdeckung des Astronomen. Da sie bereits im Jahr zuvor mit der Kalotypie experimentiert hatte, erkannte sie sofort die Möglichkeiten, die sich durch die Cyanotypie ergaben. Denn Atkins war, ähnlich wie ihr Vater, sehr an Botanik und Zoologie interessiert und verbrachte viel Zeit mit dem Zeichnen von Algen. Die Cyanotypie ermöglichte es ihr, schneller und präzisere Abbildungen zu produzieren. Unterstützt durch ihren Vater, der meinte, "dass es nützlich sein würde", stellte sie sich die nicht gerade kleine Aufgabe, alle britischen Algenarten mit dem neuen fotografischen Verfahren festzuhalten.

Öffentlich geehrt wurde Atkins für ihre Leistung nicht

Bereits ab Oktober 1843 veröffentlichte sie den ersten Band der insgesamt zwölfteiligen Reihe "British Algae" – es gilt als das erste Buch, das Bilder zeigte, die mit Hilfe einer fotografischen Technik erstellt worden waren. Weil Cyanotypien aber Unikate sind, musste sie von jeder Alge mehrere Blaupausen anfertigen, die in die Alben geheftet wurden. Bei einer Auflage von etwa 15 Exemplaren pro Band blieb der Aufwand zwar noch halbwegs übersichtlich, doch es zeigt sich eben auch, dass kein Exemplar wie das andere ist und teilweise unterscheiden sich die einzelnen Cyanotypien einer Alge sogar deutlich voneinander: Für jedes einzelne Abbild mussten die Algen neu auf das präparierte Papier gelegt und arrangiert werden, zudem unterscheiden sich die Blautöne mitunter sehr, weil die Schicht entweder unterschiedlich dick aufgetragen oder unterschiedlich lange der Sonne ausgesetzt waren.

Dennoch: Anna Atkins war die erste Person, die ein fotografisches Verfahren für wissenschaftliche Zwecke nutzte und die diese Ergebnisse in einer Publikationen zusammenfasste, denn sie erkannte die technischen und ästhetischen Möglichkeiten der fotografischen Buchillustration.

Öffentlich geehrt wurde Atkins für ihre Leistung nicht und nach ihrem Tod 1871 wurden sie und ihr Vermächtnis weitestgehend vergessen. Erst Ende des 20. Jahrhunderts entdeckte der Fotohistoriker Larry Schaaf Atkins Cyanotypien wieder, wodurch sie den Platz in der Fotografiegeschichte erhielt, der ihr zusteht.

Damit sie auch einer breiten Öffentlichkeit zugänglicher wird, hat nun der Taschen Verlag eine zweieinhalb Kilo schweren Publikation mit dem Namen „Anna Atkins. Cyanotypes“ veröffentlicht, die mit mehr als 550 Cyanotypien einen Überblick über ihr gesamtes fotografisches Schaffen bietet. Ein Muss für alle, die sich mit der Geschichte der Fotografie beschäftigen, die sich für fotografische Typologien und Botanik interessieren – oder die einfach nur Berliner Blau mögen. Davon gibt es in dem Buch nämlich mehr als genug.