Wohnvisionen der Mid-Century-Junggesellen

Bar, Sofa, Bett

Funktioniert das Junggesellenleben heute noch als ästhetisches Konzept? Claudius Seidl klärt auf – und würdigt dabei die kulturelle Leistung des „Playboy“

Der Junggeselle steht auf der Liste der vom Aussterben bedrohten Wörter direkt über dem Strohwitwer, dem Fräulein und der alten Jungfer. Und wer den Begriff ins Leben zurückholen wollte, müsste erst einmal klären, was er denn bedeute: Was jung ist, weiß jeder. Was ein Geselle sei: eher nicht. Und warum ein Mann, der allein lebt, so heißen soll, hat vermutlich schon damals keiner verstanden, als das Wort noch gebräuchlicher war.

Der bachelor, wie der Junggeselle auf Englisch heißt, wird sich nicht durchsetzen in der deutschen Sprache. Was einerseits am gleichnamigen Studienabschluss liegt (der den, der ihn hat, zu so gut wie gar nichts qualifiziert). Und andererseits an einer Show im sogenannten Privatfernsehen, wo ein Mann, den man nicht näher kennenlernen möchte, sich entscheiden soll zwischen lauter Frauen, die, nur zum Beispiel, ihre Fernsehgage in eine Brustvergrößerung investieren. Leute also, mit denen man auch semantisch nichts gemeinsam haben will.

Und den Single stellen wir uns als eher traurigen Menschen vor. Als einen Einsamen, der nichts dringender will, als möglichst schnell seiner Einsamkeit zu entrinnen.

Ist der Junggeselle, als Begriff, also deshalb vom Aussterben bedroht, weil es das, was das Wort bezeichnet, längst nicht mehr gibt: den heterosexuellen Mann, der allein lebt und seine Einsamkeit als Freiheit nimmt? Den heterosexuellen Mann, der selbstbewusst genug ist, seinen Lebensraum entsprechend seinen erotischen und ästhetischen Bedürfnissen zu inszenieren, als Schauplatz und Ausdrucksform seiner Männlichkeit?

Es ist, auf den ersten Blick zumindest, paradox. Unsere Gesellschaft produziert so viele Alleinlebende, Frauen und Männer, wie nie zuvor. Und zugleich produziert sie Bilder und Fiktionen, die das genaue Gegenteil zum Lebensmodell und Wohn­ideal erklären. Studenten in Wohngemeinschaften. Pärchen, die zusammenziehen, bald nach dem ersten Sex. Erwachsene in der Patchworkfamilie. Alte in der Senioren-WG. Wenn die deutsche Gesellschaft in Filmen oder Fernsehserien, in Büchern oder Zeitungsartikeln ihr Selbstbildnis malt: Dann ist das ganze Land eine Familie.

Der Mann, der gern allein lebt, wirkt dagegen anachronistisch, asozial, verschroben und verstockt. Ein verblasster Mythos aus jener Zeit, da Zigaretten noch inspirierend waren, Autos durstig, Männer erst recht. Ein Mann, der allein lebt, verschärft, weil er offensichtlich keine Kinder will, unsere demografischen Probleme, er hinterlässt, weil er unverhältnismäßig viel Energie, Raum und Rohstoffe verbraucht, einen klobigen ökologischen Fußabdruck. Und wenn einer sagt, er liebe die Frauen, lebe aber lieber mit keiner zusammen: Dann gilt er als seelisch schwer gestört.

Er ist aber ein Held, ein Rebell, ein Befreier. Das hat, auch wenn sie es nie so einfach ausdrücken würde, die spanische Philosophin Beatriz Preciado herausgefunden, als sie uralte Hefte des „Playboy“ studierte. Beatriz Preciado ist, in ihren Kreisen, weltbekannt als Autorin eines „Kontrasexuellen Manifests“; sie klebt sich gern einen Schnurrbart über den Mund und ist auch sonst nicht besonders an der Verteidigung heterosexueller Normen und Praktiken interessiert. Manchmal schreibt sie einen Jargon, einen poststrukturalistischen Stilmix, dass man nur noch stöhnen möchte: Oje, dafür lebt der Junggeselle jetzt allein – dass er sein Apartment vollstopft mit Signifikanten. Und trotzdem ist Beatriz Preciados Studie „Pornotopia“ ein extrem lesenswertes Buch, gerade für heterosexuelle Männer und Frauen.

Es war der „Playboy“, schreibt Preciado, der in den spießigen Nachkriegsjahren am heftigsten aufbegehrte gegen die amerikanische Lebensvorschrift, wonach der weiße Mittelstand gefälligst in der Kleinfamilie zu leben habe, draußen, in Suburbia, wo dann außer Kindern vor allem Langeweile, Frustration und sexuelles Elend generiert wurden. Es war der „Playboy“, der das Gegenmodell entwarf: den modernen Junggesellen, der in der Stadt lebt, in moderner Architektur und umgeben von modernem, funktionalem Design, das vor allem dazu da ist, den Mann bei seiner liebsten Beschäftigung, dem Verführen, zu unterstützen. Eine Bar. Ein Sofa. Das Bett als Kommandozentrale.

Und es war dieses Rollenmodell, das gar nicht funktionieren konnte ohne sein weibliches Gegenüber. Die sexuell selbstbestimmte Frau, die sich für eine Nacht im Apartment des Verführers entscheiden kann oder eben auch dagegen. Die wurde vom „Playboy“ zwar nicht erfunden, und der Junggeselle, der entsprechend dieser Rolle zu leben versuchte, machte sich schon gar keine Gedanken über die Befreiung der Frau. Er setzte die selbstbestimmte Frau aber voraus. Ohne diese wäre die ganze Konstruktion sinnlos geblieben.

Was insofern paradox ist, als der „Playboy“ ja für nichts so sehr kritisiert, gehasst, verabscheut wurde wie für das Bild der Frau, das er angeblich entwarf. Nackt, willig, wehrlos und immer verfügbar. So wünsche sich der „Playboy“ jene Frauen, deren Körper er den Blicken unterwerfe. Nicht Liebe, Respekt, noch nicht einmal Begehren bestimme das Verhältnis. Es sei nichts als Konsum. Sex mit Marilyn Monroe, so schrieb Norman Mailer, offenbar unter dem Eindruck ihrer Nacktfotos im „Playboy“, Sex mit Marilyn Monroe stelle er sich so leicht vor, wie ein Eis zu schlecken.

Einmal abgesehen davon, dass man das Machtverhältnis auch umgekehrt beschreiben kann; dass man die Lust und das Begehren des Betrachters als Unterwerfung lesen kann und das Bild der Frau, das davon unberührt und unbewegt bleibt, als das Gegenteil: Abgesehen davon wurden diese Frauen immer als ebenbürtig beschrieben, als Frau von nebenan, berufstätig, selbstständig, autonom. Die nackte Frau in der Mitte des Hefts hieß Playmate, Spielgefährtin, was ja eine ebenbürtige Rolle ist. Und auf der Rückseite des ausklappbaren Fotos konnte man lesen, welchem Beruf sie nachging. Sie war das girl next door, nicht die Mätresse.

Mehr gab es zur Freiheit der Frau nicht zu sagen, man hatte mit der Befreiung des Manns genug zu tun. „Wir wollen von Anfang an klarstellen, dass wir kein Familienmagazin sind. Wenn Sie eine Schwester, Ehefrau oder Schwiegermutter sind, möchten wir Sie bitten, uns an den Mann Ihres Lebens weiterzureichen und Ihre Lektüre des ‚Ladies’ Home Companion‘ fortzusetzen.“ So schrieb Hugh Hefner, der Erfinder des „Playboy“, im Editorial der allerersten Ausgabe im November 1953 – und diese Sätze weisen schon darauf hin, warum es heute zeitgemäß ist, noch einmal über männliche Lebensentwürfe, die fast 60 Jahre alt sind, zu sprechen.

Es waren ja nicht nur Hugh Hefner und sein „Playboy“. Es war ja nicht nur der Graus amerikanischer Männer vor der amerikanischen Vorstadthölle. Es war, zum Beispiel, der wunderbare italienische Designer Joe Colombo, der in den 60ern und frühen 70ern supermoderne und sehr schicke europäische Junggesellenwohnungen entwarf, fast schon Wohnmaschinen, in denen die Automaten jene Arbeit tun sollten, für die man früher einen Butler gebraucht hätte. Es war der Versuch, einen Lebensstil zu demokratisieren, wie er 100 Jahre zuvor nur dem Dandy aus der Oberschicht möglich gewesen war.

Natürlich haben Colombos Entwürfe genau wie die Lebensvorschläge, die damals der „Playboy“ den allein lebenden Männern machte, heute jenen Retro-Chic, der uns nicht nur auf eine gewisse Unbehaustheit in der Gegenwart weist; die Sehnsucht richtet sich ja immer wieder nach den Ausdrucksformen und Zeichen einer ganz bestimmten Zeit – jener Nachkriegszeit nämlich, als all die Glücksversprechen und Befreiungshoffnungen noch neu und ungebrochen waren. Und in unserer ästhetischen Lust an diesen Formen schwingt immer auch die moralische Sehnsucht nach einer zweiten Chance, die Sehnsucht danach, diese Versprechungen noch einmal beim Wort zu nehmen und nicht daran zu denken, wie sie banalisiert und dementiert wurden von einer Wirklichkeit, die dann doch nicht so chic und frei und glücklich war.

Der Lebensentwurf des Junggesellen hat, so unzeitgemäß der Begriff auch klingen mag, diese zweite Chance ganz besonders verdient. Es ginge, wenn man die Vorstellung vom allein lebenden Mann noch einmal beleben und emphatisch beschreiben wollte, nicht darum, die alten und verblassten Männlichkeitsbilder zu restaurieren. Es ginge also nicht um Männer, die ungestört rauchen, trinken und sich von Bildern nackter Frauen zum Masturbieren inspirieren lassen wollen. Nicht um Männer, die ihre Wohnung zur Junggesellenmaschine machen, weil sie eh gern schrauben, löten, programmieren.

Es ginge viel eher um die Erfahrung einer Zeit und eines Raums. Einer Zeit, in der der Mann, allein mit sich selbst, lernen könnte, die Freiheit zu lieben, statt sie zu fürchten. Und eines Raums, in dem der Mann einmal ausprobieren könnte, was die zeitgemäße Ausdrucksform seiner Männlichkeit sei. Das wäre eine ästhetische und zugleich eine ethische Frage: Was ist denn männlich im Jahr 2012? Wie sieht das aus? Und wie tritt das dann der Frau gegenüber?

Um Frauen ginge es auch insofern, als so ein Junggesellenleben das kategorische Gegenteil jener Männlichkeitsfeiern ist, die darauf hinauslaufen, dass Männer erst zu sich selbst kommen, wenn sie ihrer Familie entronnen sind, um mit anderen Männern auf die Jagd oder ins Bordell zu gehen, Sport zu treiben oder sich zu betrinken. Das ist Flucht vor der Frau, unmännlich und weich.

Um Frauen geht es, weil ein Mann, der mit sich selbst zurechtzukommen gelernt hat, das einzig angemessene Gegenüber ist.

(Und womöglich wollen Frauen ja auch gern einmal in Ruhe gelassen werden.)

Beatriz Preciado: „Pornotopia. Architektur, Sexualität und Multimedia im ,Playboy‘“. Wagenbach-Verlag, 2012, 168 Seiten, 24,90 Euro
Claudius Seidl ist Feuilletonchef der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung"