Barbara Klemm in Oberhausen

Fotografische Denkmäler

Barbara Klemm hat alles fotografiert, die großen wie die kleinen Dinge, das Weltgeschehen und die Geschichten hinter der Geschichte. In der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen ist jetzt eine Retrospektive zu sehen

Barbara Klemm, die 1939 in Münster geboren wurde – aber seit so vielen Jahren in Frankfurt lebt, dass sie als Frankfurterin gilt –, ist eine der bedeutendsten deutschen Fotografinnen unserer Zeit. Sie kommt aus einem Künstlerhaushalt: Ihr Vater war der Maler Fritz Klemm. Auch die Mutter Antonia, Gräfin von Westphalen, wirkte als Künstlerin. Lange Jahre arbeitete Barbara Klemm als Redaktionsfotografin der "FAZ", fotografierte vor allem für die vor einigen Jahren eingestellte Tiefdruckbeilage – machte Bilder, die sich stets dadurch auszeichneten, dass sie das Leben im Großen, wie im Kleinen einfingen.

Immer hat sie Schwarzweiß fotografiert. Porträts. Landschaften. Immer mit einem sehr genauen Sinn für Komposition. Für Ausschnitte. Manche ihrer Arbeiten sind weltweit bekannt geworden, sind Ikonen der Fotografie, wie etwa das 1973 in Bonn fotografierte Bild von Willy Brandt und Leonid Breschnew bei der Aushandlung der Ostverträge – zwei Politiker, umgeben von Übersetzern, Beratern und Fotografen. Ein Bild, das einen wichtigen Moment der bundesrepublikanischen Geschichte einfängt. Ein fotografisches Denkmal der Ostpolitik.

Als "fotografischen Gedächtnis" der Bundesrepublik gilt Barbara Klemm, über die Durs Grünbein etwas Interessantes geschrieben hat: "Sie hat die Großen und die noch viel Größeren porträtiert, aber nie sieht man bei ihr Giganten, sondern immer nur Sonderlinge an ihren Arbeitsplätzen, kauzige oder quirlige Wesen in den verschiedenen Stadien der Selbstbehauptung."

"Alles, was ich kann, habe ich durch das Leben gelernt"

Und so mäandert ihr Werk zwischen jenen Polen des Skurrilen und Weltbewegenden. 1972 fotografiert sie Alfred Hitchcock auf seinem Regiestuhl in der Frankfurter Bahnhofshalle, dann drei namenlose Schläfer in einem Park – vereint in der gleichen Haltung. Mal zeigt sie Joseph Beuys beim Aufbau einer Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau, dann einen halbnackten Musiker mit Cowboyhut an einer Straßenecke in Manhattan oder Wolf Biermann bei einem Auftritt in der Kölner Sporthalle. Drei Tage später wurde er aus der DDR ausgebürgert.

Sie hat ihren eigenen Vater als Rückenansicht fotografiert, abgewandt von seiner Staffelei, aus dem Fenster blickend. Oder Andy Warhol vor Tischbeins Gemälde "Goethe in der Campagna" im Frankfurter Städel. 1989 bekommt sie Michail Gorbatschow während des 40. Jahrestags der DDR in Ostberlin vor die Linse. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben: Das gilt in besonderem Maße auch für Fotografen und Fotografinnen. Und Barbara Klemm war selten zu spät: Gleich nach der Maueröffnung fotografierte sie vollkommen überraschte Volkspolizisten. Gerade die Straße, der öffentliche Raum, ist der bevorzugte Ort ihrer Fotografie. Im Fokus nicht selten jene, die am Rande stehen. Kinder etwa vor dem "VEB Fortschritt, Rostock, DDR, 1974".

Barbara Klemm hatte Glück als Fotografin, wie sie immer betont hat: "Alles, was ich kann, habe ich durch das Leben gelernt. Ich hatte das Glück, mit der FAZ so viele interessante Themen umsetzen zu können. Ich habe mich immer verausgabt und versucht, das Beste zu geben." Doch was ganz schlicht klingt, ist oft, sehr oft, harte Arbeit.

"Farbfotografie war nie mein Medium"

Was zeichnen ihre Fotografien aus? Der Sinn für Komposition, das Gespür für große Porträts, der Blick für das Wesentliche ist es, der Sinn für "Schlüsselbilder" auch, wie jetzt die Ausstellung in Oberhausen wieder einmal offenbart. Hier sind Bilder versammelt, welche die politische Geschichte Deutschlands auf bisweilen humorvolle, aber stets diskrete und sehr stilsichere Art und Weise dokumentieren, die viel Sinn zeigen für Nuancen und Feinheiten. Die stets in Schwarzweiß, analog, ohne Blitz fotografiert sind.

"Farbfotografie war nie mein Medium" hat Barbara Klemm einmal in einem Interview betont. "Als das Magazin der 'FAZ' gegründet wurde, habe ich es zwei Jahre lang versucht und bin dann wieder ausgestiegen. Auch privat interessieren mich Farbbilder nicht; meine Ausdrucksform ist die Schwarzweißfotografie."

Die Bilder von Klemm spiegeln Zeitgeschichte: die Studentenrevolten in den 1960er-Jahren, das Leben in der DDR, die politischen Annäherung zwischen Ost und West, Mauerfall und Wiedervereinigung, Parteitage, Wahlsiege oder Wahlniederlagen, der sozialistische Bruderkuss zwischen Honecker und Breschnew oder Joschka Fischer in Turnschuhen bei seiner Vereidigung zum Umweltminister: All das hat die Unermüdliche fotografiert, die unter anderem mit dem Dr. Erich Salomon-Preis der Deutschen Gesellschaft für Photographie ausgezeichnet worden ist. "Der Moment, der etwas aufzeigt", sagte Klemm in Oberhausen, das sei immer das Ziel ihrer Arbeit gewesen.