In Berlin wirft "Creative Growth" mit Kunst von Behinderten Fragen auf

Die Liebe zur Linie scheint das große Thema der Ausstellung „Creative Growth“ in der Berliner Galerie Giti Nourbakhsch zu sein

 Abstrakte Kritzeleien auf Karton, filigrane Figuren auf Papier, organisch anmutende, mit bunten Fäden wild umwickelte Wollobjekte – die Liebe zur Linie scheint das große Thema der Ausstellung „Creative Growth“ in der Berliner Galerie Giti Nourbakhsch zu sein. Leicht und elegant wirkt sie, verspielt und manisch-melancholisch.
Der Blick auf die Künstlerliste mit unbekannten Namen wie Dan Miller, Dwight Mackintosh oder Judith Scott lässt vermuten, dass Matthew Higgs, Kurator der Schau und Leiter des renommierten New Yorker Ausstellungsraums White Columns, hier Amerikas jüngste Talente vorstellen will. Doch weit gefehlt: „Creative Growth“ ist kein Titel, der Arbeiten ambitionierter Jungkünstler, wie man sie üblicherweise in der Galerie Nourbakhsch sieht, in einen neuen Trend einbettet. Sondern eine kalifornische Einrichtung, die geistig und körperlich Behinderte zum Kunstmachen animiert. Outsider-Art nennt man die Kunst, die von Menschen kommt, die außerhalb des normalen Kunstsystems stehen. Inzwischen gibt es sogar eigene Messen dafür. In den vergangenen sieben Jahren hat Higgs mit Creative-Growth-Mitgliedern Ausstellungen bei White Columns, Barbara Gladstone und Gavin Brown’s Enterprise realisiert.
Doch so lobenswert der Anspruch ist, diese Werke in den etablierten Kunstkontext einzubetten, so viele Fragen wirft er zugleich auf. Vor allem: Wie glaubwürdig ist das Kerngeschäft des Kunsthandels eigentlich noch? Denn hier müssen offensichtlich Zeichnungen und Skulpturen, die ohne gängiges Künstlerbewusstsein entstanden sind, die Authentizität transportieren, die dem Rest der Kunst fehlt. Zwar hat sich die Avantgarde von Picasso bis Dubuffet auf der Suche nach „Ursprünglichkeit“ immer wieder am Schaffen der „anderen“ orientiert – ob es nun Indianer, Kinder oder Insassen von Nervenheilanstalten waren. Doch der Boom der Outsider-Art zeigt primär eines: Den „Insidern“ nimmt man heute kaum mehr ab, dass sie ihr Unbewusstes ohne den Blick durch die Marktbrille in neue Formen bringen können. Gesine Borcherdt

Galerie Giti Nourbakhsch, Berlin, 14. Februar bis 21. März