Shortlist Turner Prize 2011

Bewährte Balance

Auf dem Asphalt stehen Pfützen, die angrenzenden Häusern leuchten im Morgenlicht. Ein guter Tag für einen Maler, der die Schönheiten von Coventry in gestochen scharfen Bildern festhalten will. Bloß dass die alte Industriestadt wenig mehr anzubieten hat als eine wuchernde, manchmal auch blühende Natur neben heruntergekommenen Arbeitersiedlungen oder Garagen, in denen schon lange kein Auto mehr geparkt hat. Etwas unheimlich wirken die Landschaften und leeren Spielplätze, die George Shaw nahezu fotorealistisch abbildet. Hochglänzend in Email, so als seien seine Sujets etwas besonders Wertvolles. Dabei spart der 1966 geborene Maler nichts von dem Schäbigen, Gewöhnlichen jener Städte aus, die er noch aus der Kindheit oder dem Studium kennt: Shaw kam in Coventry zur Welt, studiert hat er in Sheffield.

Für diese eigenwillige Verknüpfung offenbarer Widersprüche steht er nun auf der Shortlist des Turner Preises. Mit Klara Black, Martin Boyce und Hilary Lloyd konkurriert Shaw um Großbritanniens begehrtesten Kunstpreis, der mit 25000 Pfund dotiert ist und seit 1984 an Künstler unter 50 Jahren vergeben wird. Von Oktober bis Dezember werden die Arbeiten der vier Nominierten gemeinsam präsentiert. Neu ist die Adresse: Zum zweiten Mal seit einem Vierteljahrhundert zeigen die Künstler ihre Arbeiten außerhalb Londons, zum ersten Mal außerhalb einer der Tate-Häuser – im nordenglischen Gateshead, im Baltic Centre for Contemporary Art, wo Shaw just eine große Einzelausstellung hat.

Dort wird bald auch Karla Black ihre Skulpturen installieren, für die sie bevorzugt Erde, Sägemehl, Lippenstifte oder feinen Puder verwendet, den man sich sonst sparsam auf die Haut stäubt. Die Künstlerin, Jahrgang 1972, nimmt gleich Zentner davon und häuft oder streut daraus vergängliche Objekte. Bezüge zur frühen Konzeptkunst werden ebenso sichtbar wie der Versuch, das Repertoire bildhauerischer Materialien noch einmal experimentell zu erweitern. Und Make-up als Material, das dürfte zuletzt nicht auch die britischen Boulevardzeitungen freuen, die sich traditionell für den Turner Prize interessieren und durch Blacks Materialien einen guten Zugang zur Kunst finden dürften. Nominiert wurde die Schottin übrigens für ihre Ausstellung in der Berliner Galerie Capitain Petzel. Und auch Black hat ein zweites großes Projekt in diesem Jahr: Sie bespielt den schottischen Pavillon auf der Biennale in Venedig.

Ebenfalls aus Schottland stammt Martin Boyce, der sich in seiner Arbeit mit Aspekten jener Moderne auseinandersetzt, die nach 1950 begann. Das radikale, aber eben auch ein wenig hegemoniale Design dieser Zeit wird von ihm neu interpretiert – und zwar so, dass man die Möbel von Arne Jacobsen oder Charles und Ray Eames nach ihrer Bearbeitung nur schwer wiedererkennt. Dafür öffnet Boyce mit seinen fragilen Mobiles, konstruktiven Skulpturen und Bodenarbeiten den Blick für die gestalterischen Ideen, diesich nicht nur im Design manifestieren, sondern seit Jahrzehnten auch das Denken prägen.

Im Vergleich wirken die Arbeiten von Hillary Lloyd, mit der die Shortlist für eine bewährte Balance sorgt und neben Malerei, Konzeptkunst und Bildhauerei auch Mediales stellt, superpoetisch. Vieles davon ist begehbar und integriert den Betrachter, der in der wabernden, abstrakten Videoprojektion um sich herum erst spät profane Farbflecken auf Lloyds Atelierboden erkennt. Daneben sammelt die 46-jährige Künstlerin seit Mitte der neunziger Jahre in Dia-Serien die Gesten alltäglicher Selbstdarstellung und arrangiert sie zu Installationen absurder Repräsentation.

Es ist also eine gut ausgewogene Shortlist geworden, gerade im Vergleich mit der letztjährigen Auswahl, die immerhin eine Soundkünstlerin und ein Kollektiv aufbieten konnte: keine große Überraschungen, keine krassen Außenseiter. Routine auf höchstem Niveau.

Mehr Informationen zum Turner Prize finden sich auf der Website der Tate Gallery