Bis nichts passiert

Hitler liebte das Zeug“, schreibt Speed Rebel in einem Onlineforum. „Könnte sein, dass er deshalb so viele erstaunlich schlechte Ideen hatte.“ Die Leute aus Trona lieben das Zeug auch, das bei der Wehrmacht noch Pervitin hieß oder einfach Panzerschokolade. Heute heißt es wie eine schlechte White-Trash-Metalband: Crystal Meth.

Während „schlechte Ideen“ keine ganz richtige Formulierung ist, wenn es um Hitler geht – im Falle der 2500 Einwohner von Trona trifft sie absolut zu. Es scheint, als hätte die Sonne in diesem sozialen Brennpunkt den Menschen das letzte bisschen Selbstachtung weggebraten. „Trona –Armpit of America“, die Achselhöhle der Nation, sagen sie selbst. Hier scheint die Immobilienkrise erfunden worden zu sein: Häuser kosten gerade mal 1000 Dollar. Die Menschen aus Trona brennen sie zum Spaß nieder, wenn sie nicht gerade in ihren Garagen aus billigsten Supermarktzutaten eine der niederträchtigsten Drogen aller Zeiten köcheln – für den Eigenbedarf. Manchmal passiert auch beides auf einmal. „Lass die Schwefelsäure nie in Kontakt mit dem Ammoniak kommen“, warnt Speed Rebel in seiner Internetanleitung zum Aufkochen von Methamphetamin.
„Sonst: Ka-FUCKING-Boom!“


An dem Salzsee in der Wüste zwischen Los Angeles und Las Vegas sorgte früher ein Chemiewerk für Arbeit. Jetzt ist Trona die Adresse für die, die nicht mehr wegkönnen. Weil sie erstens nicht wissen wohin, zweitens kein Geld für den Bus haben und sich drittens erst noch schnell ein bisschen in Fahrt bringen müssen. Vielleicht die Hälfte aller Leute, Teenager und ihre Eltern, schnupfen oder rauchen hier Crystal Meth. Die Kris talle, der Bodensatz aus dem Haushalts eimer, lassen die Körper der Konsumenten in kürzester Zeit um Jahre altern und zerstören die Gehirnzellen bis zur totalen Demenz. Doch nicht nur deshalb scheint die Wahl der Droge eine ausgesprochen schlechte Idee zu sein: Sie macht länger als jede andere Substanz knallwach und hyperaktiv. Ausgerechnet hier, wo es nichts zu tun gibt. Was für ein böser Witz. Die Wüste und die Fotografie – wo immer sie zusammentreffen, entstehen Bilder, die berauscht sind von der Weite. Gerade das verarmte ländliche Amerika wurde tausendfach zur fotografischen Projektionsfläche für eine diffuse Idee von Freiheit. Die Urform dieser Farbfotografien schuf William Eggleston mit seinen stilbildenden Amerikaansichten, die zu wiederholen tausendfach versucht wurde, denn es ist schwer, in der Wüste richtig schlechte Bilder zu machen. Richtig gute aber auch. Das Klischee lebt: Bei besonders gewissenhaften Eggleston-Wiedergängern wie Wim Wenders wird die Anbetung der Leere zu Kitsch. Doch bei Tobias Zielony ist es anders. Er widersteht den ästhetischen Verführungen durch Horizont, Licht und die Endlosigkeit des Mittelstreifens. Er findet in der Wüste nicht die Weite, sondern das Begrenzte. Sie ist grausam und nicht großartig. Ein fremder, feindlicher Ort, der die Menschen verrückt werden lässt.

 

Seit sechs Jahren fotografiert der 1973 geborene Zielony Jugendliche dabei, wie sie Zeit totschlagen. In Venice Beach, in Halle, im polnischen Zielona Góra oder in Trona, Kalifornien. Immer am Rand der funktionsbereiten Gesellschaft, immer in derselben indifferenten Wartehaltung. Auf das Erwachsensein, auf Bier oder die nächs te Ansage. Darauf, dass es losgeht. Sie stehen noch am Anfang. Aber auch wie das Ende aussehen kann, ist in den Fotografien von Zielony bereits angelegt. Er ordnet sie als Serien und bietet so eine lose Narration an, die keinen Höhepunkt hat – darin stimmen Form und Inhalt subtil überein. Als August Sander mit seinen „Menschen des 20. Jahrhunderts“ in den 20er-Jahren den Anfang der typologischen Porträtfotografie markierte, bildete er eine Epoche der Arbeit ab, in der sich die Menschen zu 100 Prozent durch ihren Beruf auszeichneten. Tätigkeit und Persönlichkeit waren deckungsgleich: ein Bäcker, ein Bild. Tobias Zielony beschreibt insofern ähnlich präzise die Gegenwart: eine Ära der Beschäftigungslosigkeit, ein lockeres
Geflecht aus Orten und Menschen, an den Rändern offen.
Beliebig sind seine Serien dabei keineswegs. Die Porträts sind in ihrer Unmittelbarkeit manchmal bestürzend. Man könnte dabei an die Serie „Tulsa“ von Larry Clark denken, der selbst Mitglied der Gruppe war, die er nackt beim Spritzen, beim Sex, schwanger und mit scharfen Waffen fotografierte. Oder an Nan Goldin, die dem harten Leben auf Drogen mit ihrer Farbfotografie eine fast zärtliche Patina verlieh. Aber die Vergleiche sind nur auf den ersten Blick naheliegend. Denn so dicht dran wie Clark oder Goldin an ihren Motiven ist Zielony nicht, er dosiert die Mittel sparsamer. Seine Perspektive ist die respektvolle Augenhöhe. Das heißt auch: niemals so zu tun, als sei man einer von ihnen.
Er wisse auch nicht, warum er sich immer Themen suche, die ihn in Gefahr bringen, sagt Zielony. Ein Draufgänger sei er nicht. In dem Moment, wo ihn etwas interessiert, denkt er über Gefahr nicht nach. Er traf sich mit Chefs kanadischer Indianergangs, sah den psychotischen Teenagern von Trona beim Herstellen von Crys tal Meth zu und drehte kürzlich in einer Betonburg vor Neapel, die zu den größten Drogenumschlagplätzen der Welt zählt, einen Film. Sein Schutz ist paradoxerweise eine gewisse Offenheit – und ein gut funktionierender Fluchtinstinkt. Vielleicht lassen sie ihn so nah herankommen, weil der Fotograf ihnen Abwechslung
und Aufmerksamkeit bietet, wenn sie zum Beispiel auf dem Deck eines Parkhauses herumstehen. Ein Fulltime-Job, denn wer nicht persönlich die Stellung hält, gibt das Revier auf. Oder beim Treffpunkt am Autowrack, das verglichen mit dem Rest eine echte Attraktion ist in Trona. Manchmal denkt Zielony, die Jugendlichen hätten fast darauf gewartet, dass jemand sich für sie interessiert. Fotografiert zu werden ist eine Auszeichnung, dieses mediale Wissen gilt weltweit. Und dass sie ein geschultes Gespür für bildliche Inszenierung haben, dass die meisten sofort ähnliche Posen draufhaben, merkt er fast jedes Mal. Dabei führt Zielony die Menschen, die er fotografiert, nie vor. Sie wissen von seinem Projekt und ahnen, welche Rolle sie darin spielen.


Zielonys Porträts sind auch immer Porträts von städtischen Räumen: alles merkwürdige Unorte, die ihr Dasein genauso wie die Statisten, die sie bevölkern, zwischen Bestimmung und Überflüssigkeit fristen. Das Gebüsch, die Straßenbeleuchtung, der Asphalt, die Nische sind die globale Kulisse des Abhängens – ob in Osteuropa, an der Pazifikküste oder in der Wüste. Einmal fiel einer der Jungen in Trona mit dem Fahrrad beim Fahren einfach um, und Tobias Zielony hatte das Gefühl, er sei für ihn extra noch eine Weile liegen geblieben. Ein spontaner, hilfloser, kleiner Jungsgag, und doch wird der vergurkte Stunt im Staub zum heimlichen Schlüsselbild. Wozu aufstehen? Es macht keinen großen Unterschied.