Jerry Saltz über den Wiederaufbau in Chelsea

Blick nach vorn

„Die Leute bringen alles wieder in Ordnung und schauen nach vorn.“ So lauteten am Sonntag die hoffnungsvollen Worte des Kunsthändlers Andrew Kreps, dessen eigene Galerie am Montag vorher von Sandy ruiniert wurde. Ich hatte Kreps' Galerie am Mittwoch und noch einmal am Donnerstag besucht, als die Lage noch aussichtslos erschien. Aber am Sonntag herrschte eine andere Stimmung und es zeichnete sich ein anderes Bild der Lage ab. Ich sah neue Rigipswände aufgestellt, Deckenbolzen angebracht, Betonböden ausgebessert, das Büro aufgeräumt. Als Kreps und ich weitere Galerien im gleichen Stadium des Wiederaufbaus sahen, im Block West 22nd Street, sagte er, die Galerienszene Chelsea „wird wieder auf die Beine kommen“. Ich hatte das selbe Gefühl.

Diesen Eindruck teilten viele, mit denen ich in der Nachbarschaft gesprochen habe. Händler, Helfer, Assistenten. Man war beherzt, optimistisch und geschäftig. Zahlreiche andere Galerien in ganz Chelsea haben Wasser aus den Räumen abgepumpt, Schutt weggeräumt, Kunstwerke in höhere Stockwerte verfrachtet und Wände eingerissen. Viele haben bereits neu verputzte Wände, andere demnächst auch. Es war unglaublich. Einigte meinten, sie können schon in ein paar Wochen wiedereröffnen. Bei Paula Cooper sah ich eine nagelneu wirkende Galerie, wo drei Tage vorher noch ein totales Chaos herrschte. Den gleichen Eindruck machten die Galerien Casey Kaplan, 303, CRG, Zach Feuer, David Zwirner und andere.

Galeristen als Robin Hoods
Den ganzen Sonntag lang haben Mitarbeiter und Freiwillige – darunter viele Künstler – gearbeitet und geholfen, einen Kunstort nach dem anderen zu restaurieren. Zyniker haben schon gespottet, dass diese Galerien schnell auf die Beine kommen werden, weil sie über die nötigen Mittel verfügen. Na und? Nur Hassgetriebene wünschen Leuten Schlechtes, die beinah alles verloren haben, die aber glücklicherweise eine Versicherung besitzen und die Möglichkeit, wiederaufzubauen, was sie bereits zuvor aufgebaut haben (und zu dem sie kostenlosen Zutritt gewähren). Ein befreundeter Kritiker, der in Chelsea den gleichen Kampfgeist wie ich beobachten konnte, schrieb mir am Sonntag: „Ich komme noch mal auf die Idee zurück, dass Galerien ‚frei‘ sind. Aber Galerien sind nicht frei. Sie sind etwas Besseres als frei. Sie sind Robin Hood! Orte, an denen die, welche es sich leisten können, Möglichkeiten für jene schaffen, die es sich nicht leisten können.“

Chelsea ist nicht über dem Berg. Vielen Galerien geht es noch sehr schlecht. Die Situation ist immer noch schlimm in der West 27th Street. Dort ist noch immer ein ganzes, blockgroßes Gebäude ohne Strom und Wasser. Im Gemeinschaftslagerraum im Keller steht das Wasser, Galeristen, Mitarbeiter, Künstler, Sammler und andere Freiwillige haben sich Schutzanzüge angezogen und waten durch mikrobenverseuchtes Wasser, lesen Kunstwerke auf und was immer noch entsorgt werden kann. Diese Galerien gehören zu den Kleinsten in Chelsea. Sie haben auch Holzböden, die sich bereits krümmen.

Bevor die Zyniker nun wieder rumbrüllen, dass die „privilegierte Kunstwelt nicht leiden muss, weil sie sich aus dem Schlamassel herauskauft“, schlage ich vor, mal in der West 27th Street vorbeizuschauen. Oder bei jeder anderen Galerie, die gerade in Chelsea wiederaufgebaut wird. Vielleicht können sie ja über ihren Schatten springen, ihren Hass überwinden und Chelsea mit einem Gedanken verlassen, der mir nach dem Besuch kam: Die Alten hatten recht - Vita brevis, ars longa.

Übersetzung: Daniel Völzke