Autor und Künstler

Brian O’Doherty stirbt mit 94 Jahren

Der irisch-US-amerikanische Künstler Brian O’Doherty
Foto: Copyright Boris Hars-Tschachotin

Der irisch-US-amerikanische Künstler, Kritiker und Autor Brian O’Doherty

Mit seinem einflussreichen Essay "Inside the White Cube" stellte Brian O’Doherty 1976 die Bedeutung des Kontexts für die Kunst heraus. Außerdem arbeitete der Ire auch selbst als Künstler. Jetzt ist er mit 94 Jahren gestorben

Ende der 50er-Jahre zog der junge Ire Brian O’Doherty, der in Harvard Medizin studierte, nach New York, arbeitete als Kritiker für die "New York Times" und traf Künstler wie Eva Hesse, Dan Graham, Sol LeWitt und Marcel Duchamp. Er machte auch selbst Kunst und hörte Sätze, die ihn nicht mehr losließen: "Wenn man ein Kunstwerk an die Wand hängt", behauptete Duchamp, "stirbt es. Das Museum ist ein Friedhof mit lauter toten Werken."

Brian O’Doherty war anderer Meinung und suchte nach einem Beweis. Er lud Duchamp zu sich nach Hause ein. Sie speisten und lachten, dann folgte Duchamp seinem Gastgeber ins Schlafzimmer, zog die Schuhe und das Hemd aus und legte sich aufs Bett. Auf der Künstlerbrust platzierte O‘Doherty ein Messgerät und zeichnete Duchamps Herzwellen auf. Wenige Wochen später traf O’Dohertys Frau – die Kunsthistorikerin Barbara Novak – Duchamp auf der Straße. "Schlägt es noch?", soll er sie gefragt haben. "Ja", habe sie geantwortet.

Brian O’Doherty (hier im Monopol-Interview), der zwischen 1972 und 2008 als fiktive Künstlerpersönlichkeit Patrick Ireland agierte, wurde dann aber nicht als Künstler berühmt, sondern als Autor zahlreicher Aufsätze und Bücher, am bekanntesten: "Inside the White Cube", auf Deutsch "In der weißen Zelle". Der 1976 erschienene in
"Artforum" erschienene Essay gilt als Wendepunkt in der Kunstwahrnehmung, denn er ist eine der ersten Untersuchungen, in denen die Bedeutung des Kontexts und institutionellen Rahmens für die Kunst im Zentrum steht. Der "White Cube" gehört seitdem zum Vokabular des Kunstbetriebs.

Messerscharfe Analysen

O’Doherty belegte, dass es nicht nur wichtig ist, was ausgestellt wird, sondern auch wo, wie und wann. Messerscharf analysierte er den soziologischen, ökonomischen und ästhetischen Kontext, innerhalb dessen wir Kunst erfahren, und entlarvt dabei den Mythos von der Neutralität des Museums- oder Galerieraums, der auch in institutionskritischen Werken von Allan Kaprow über Marcel Broodthaers bis Andreas Siekmann in Frage gestellt wird. Für O’Doherty hat die Galerie "etwas von der Heiligkeit der Kirche, von der Gemessenheit des Gerichtssaales, vom Geheimnis des Forschungslabors", das sich "mit schickem Design zu einem einzigartigen Kultraum der Ästhetik" verbindet. "Schattenlos, weiß, clean und künstlich": Brian O’Doherty hat die weiße Zelle als scheinheilige "Ewigkeitsauslage" für jedwedes Kunstwerk beschrieben, "unberührt von der Zeit und ihren Wechselfällen".

Auch unter den Pseudonym Mary Josephson veröffentlichte der Autor in den 1970er-Jahren Texte, über Andy Warhol, Richard Artschwager oder den Tod von Janis Joplin. "Ich hatte schon lange Sehnsucht nach einem weiblichen Alter Ego, um mich von der Beschränkung der Männlichkeit zu befreien", sagte er einmal.

In den vergangenen Jahren stellte O’Doherty auch wieder als Künstler aus, unter anderem in Deutschland bei der Berliner Galerie Thomas Fischer. Die bestätigte jetzt auch seinen Tod. Er starb am Montag, 7. November, im Alter von 94 Jahren.