Melancholie-Ausstellung in Berlin

Zwischen Zirkuswelt und Weltschmerz

Künstlerinnen und Künstler haben über Jahrhunderte versucht, den ambivalenten Gemütszustand der Melancholie einzufangen. Eine Schau in der Camaro-Stiftung in Berlin überzeugt nun mit träumerischen Bildern des 20. Jahrhunderts

Wie kann man die Melancholie darstellen? Es ist nicht einfach, diesen Gemütszustand, der sich vermutlich für die meisten Menschen unterschiedlich anfühlt, auf eine Leinwand zu bringen. Für die einen mag er an Schwermütigkeit und Weltschmerz grenzen. Für andere ist es das bittersüße Gefühl, durch alte Fotoalben zu blättern ... War damals wirklich alles besser?

Der 1901 geborene Maler Alphons Bernhard Kaczmarofski, genannt Alexander Camaro, widmet sich in seinen Werken genau diesen Fragen. Die oft trüben Bilder beinhalten eine düstere Farbigkeit, es scheint, als würde ein leichter Schleier über den Formen und Linien hängen. Neben seinen verschiedenen Rollen als Tänzer, Musiker und Hochseilartist zählt Camaro auch zu den wichtigsten Nachkriegskünstlern Deutschlands. Ab 1920 studierte er an der Staatlichen Akademie für Kunst und Kunstgewerbe in Breslau Malerei bei Otto Mueller.

In der Alexander und Renata Camaro Stiftung in Berlin sind nun mehrere seiner Werke zusammen mit denen von Wegbegleitern wie Hermann Bachmann, Werner Heldt, Karl Hofer oder Oskar Moll zu sehen. Ein traumartiger, wundervoller Versuch, den Betrachtenden die Empfindung der Melancholie näher zu bringen. Trotz der wiederkehrenden Erdtöne, die nur manchmal mit kleinen, hervorstechenden Farbflächen verziert sind, wirken die ausgestellten Bilder nicht ausschließlich traurig oder beklemmend. 

Spaßvogel mit Fratze

Gemälde wie "Großer Harlekin" (1956) von Camaro haben etwas Naives, bringen aber auch eine Schwere mit und nähern sich so der Melancholie mit ihren zwei Gesichtern: Ein Harlekin ist per Definition eine komische Kunstfigur, ein Spaßvogel, aber gleichzeitig auch eine angsteinflößende, fratzenhafte, vielleicht auch traurige Erscheinung. Camaro spielt mit dieser Ambiguität, indem er sich in der Malerei zum einen dem Gegenständlichen zuwendet, zum anderen aber auch Formen schafft, die unklar bleiben. So lässt sich nicht eindeutig erkennen, ob der Kopf des Harlekins an ein echsenartiges Wesen erinnert oder aus einzelnen Gegenständen wie einem Hut, einem Karton oder einer roten Flagge besteht. 

Diese Symbolik findet sich auch in einem der Werke von Kurt Bunge, der "Träumerin" von 1958. Allein die Farbgebung beschwört eine Licht- und eine Schattenseite. Die zurückhaltend lächelnde Figur könnte mit ihrem spielerischen, freundlichen Blick die Betrachtenden einladen, in ihre Welt einzutauchen - auch wenn ihre Körperhaltung eher verunsichert und verschränkt wirkt.

Die Melancholie führt also in der Schau eine Art Doppelleben. Aber woher kommt überhaupt das Motiv und inwiefern ist er seiner ursprünglichen Bedeutung treu geblieben? Künstlerinnen und Künstler können auf eine über 2000-jährige Geschichte des klinischen Melancholiebegriffes zurückgreifen. Das altgriechische Wort melancholía setzt es sich aus melas (schwarz) und cholḗ (Galle) zusammen: Schwarzgalligkeit also. Klingt erstmal überhaupt nicht nach dem oft romantisierten Bild, das häufig in der Kunst gezeichnet wurde.

Zwischen Diagnose und Verständnis

Diese Schwarzgalligkeit galt von der Antike bis zur Neuzeit als ein klinisches Syndrom, ein Defizit bei der Funktion des Nervensystems. In der Psychopathologie wurde die Melancholie als eine affektive oder kognitive Störung des seelischen Lebens und Erlebens definiert. Der kulturgeschichtliche Ansatz nähert sich eher dem Verständnis der Melancholie, wie es auch Camaro und andere Künstler empfanden. Die Melancholie gefährdet in dieser Lesart die geniale Kreativität durch die Sorge, als Mensch trotz seiner schöpferischen Fähigkeiten und seiner Erfindungsgabe an Grenzen zu stoßen - oder sogar mit der unvermeidbaren Nichtigkeit, die aus diesem Schaffen von Werken entspringt, konfrontiert zu sein. 

Schon Albrecht Dürer beschäftigte sich mit diesem Dilemma in einem seiner Meisterstiche, "Melencolia I" (1514). Hier wird die Melancholie als eine engelhafte, nachdenkliche Figur dargestellt, erfüllt von dem Willen zum Kreieren, aber unfähig, etwas zu tun. Diese Gedanken lassen sich mit dem Bild der Kindheit verknüpfen, welches auch immer wieder in Camaros zauberhaften Zirkuswelten auftritt. Einerseits, weil die Werke häufig von einem fast infantilen Spiel zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit geprägt sind. Andererseits folgt die Akzeptanz, dass diese Zeit der naiven Leichtigkeit vergeht. Und selbst im Schaffen künstlerischer Werke kann es nicht gelingen, vollständig in diesen Zustand  zurückzukehren. Daraus erwächst ein wehmütiges Zurückblicken. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge. 

Unica Zürn, selbst Künstlerin und Teil des Künstlerkabaretts "Die Badewanne", das Camaro mitbegründete, schrieb ihm 1952 folgende Zeilen: "Kindheit. Es gab keine Zeit. Alles war 'immer' und würde nie enden. Wir waren dem Himmel noch so nah. Wir lagen am Herzen der Unschuld." Die Ausstellung spiegelt dieses Gefühl und nimmt den Betrachter auf eine besondere, mal trübsinnige, mal heitere Art und Weise ein. Das Durchschimmern eines Gefühls berührt im besten Sinne, macht aber auch nachdenklich - und lässt uns vielleicht sogar für ein paar kurze Momente wieder Kind sein.