Künstlerin Cecilie Waagner Falkenstrøm

"Die KI ist ein Werkzeug, um an die Grenzen des Möglichen zu kommen"

Cecilie Waagner Falkenstrøm versucht, mit KI über den Klimawandel zu diskutieren. Kann ein sprechender Baum besser argumentieren als Menschen, und wie hilft die Maschine der Kunst? Wir haben nachgefragt


Cecilie Falkenstrøm, wie sind Sie dazu gekommen, Kunst mit künstlicher Intelligenz zu verbinden?

Menschen haben besondere Eigenschaften, etwa Intelligenz, komplexe Gefühle oder die Fähigkeit, zu argumentieren. Mit der KI haben wir nun eine Technologie, die bestimmte menschliche Merkmale simulieren kann, zum Beispiel Emotionen oder sogar Intentionalität. Sie spiegelt uns in gewisser Weise wider. Und deshalb sind wir genötigt, darüber nachzudenken, was uns als Menschen einzigartig macht. Diese Einsicht hat mich 2016 dazu gebracht, mich mit dem Thema KI zu beschäftigen.


"Sky“ ist eine interaktive KI, ein Kunstwerk, das Sie gemeinsam mit Ihrem Team geschaffen haben. Was genau zeichnet es aus?

Im Grunde nutze ich maschinelles Lernen oder künstliche Intelligenz als Medium zur Schaffung von Kunstwerken, die uns zum Nachdenken anregen sollen über unser menschliches Zusammenleben und unsere Existenz. "Sky" ist ein KI-Kunstwerk, mit dem man ein Gespräch über Themen wie die Klimakrise führen kann. Und es ist nicht nur auf politisch korrekte Aussagen zum Klimawandel ausgelegt. Tatsächlich basiert die KI auf Daten aus allen Ecken des Internets, die mit einer Diskussion über den Klimawandel einhergehen. Die KI hat also in ihren Datensätzen jede Menge diskursiver Formulierungen und diese können ganz unterschiedlich sein.

Für die Fashion-Show des Modelabels Ganni in Kopenhagen haben Sie fünf solcher KIs in Bäume eingebaut. Wie passen Ihre Ziele, das Bewusstsein für den Klimawandel zu schärfen mit der Modebranche zusammen, die ja selbst enorme Ressourcen verbraucht? 

Ursprünglich hatte ich "Sk"y im Auftrag der Vereinten Nationen geschaffen. Wir haben es dann als Inspiration für das Ganni-Projekt genutzt, aber wir haben eine ganz neue KI für Ganni generiert. Ziel war es, die Rezipienten für den Klimawandel zu sensibleren. Dass der voranschreitende Klimawandel eine große Bedrohung für Mensch und Umwelt darstellt, ist den meisten bewusst. Dafür haben wir normalerweise ein intellektuelles Verständnis. Mein Team und ich haben uns aber gefragt, wie wir es schaffen könnten, dass dieses Thema die unterschiedlichsten Menschen auch emotional berührt. Allein die kognitive Einsicht reicht nämlich meines Erachtens oft nicht, um Menschen zum Handeln zu bewegen. Und gerade Kunst ist dafür prädestiniert, eine emotionale Wirkung bei Menschen zu erzeugen.

Für die Show haben Sie die KIs als Bäume verkörpert. Weshalb?

Die Sprachsynthese und die verschiedenen Technologien des maschinellen Lernens, die das Gefühl einer künstlichen Entität erzeugen, mit der man sich unterhalten kann, sind in der Regel virtuell. Aber wir wollten, dass die KI eine physische Präsenz hat. Die Idee mit den Bäumen fanden wir auf Anhieb faszinierend und auch passend. Es war sehr spannend, das Künstliche mit dem Natürlichen zu kombinieren. Denn wir müssen sicherstellen, dass wir Algorithmen entwickeln, die sowohl unser menschliches Leben als auch die Natur und die Welt um uns herum berücksichtigen.

Wie war es, vor dem Kunstwerk zu stehen und damit zu interagieren?

Sie müssen sich das so vorstellen: Man betritt den Raum und sieht fünf große Bäume. Aus diesen kommen Stimmen, mit denen man sprechen kann. Es trat einem eine Art Polyphonie entgegen – also viele verschiedene Stimmen, die teilweise zeitgleich etwas sagen. Wenn man in der Nähe eines Baumes stand, konnte man damit kommunizieren und auch hören, was eine andere Person andere Bäume gefragt hat. Und zugleich war auch spürbar, wie die anderen Bäume mit den Menschen und untereinander kommunizierten. Zwar waren es fünf verschiedene KIs, aber sie agierten auch teilweise im Gleichklang. Es war eine visuell-immersive Erfahrung, bei der man sich in einer vertrauten Umgebung mit Bäumen befand. Eine Art aktives Kunsterlebnis. Als dann alle auf ihren Plätzen saßen und die Show begann, waren es auch die Kunstwerke und die Bäume, die die Show teilweise begleiteten.

Und welche emotionale Wirkung hatte das Kunstwerk auf die Gäste?

Mit dieser Art von Kunst und Konversation konnten gedankliche Barrieren der Menschen ein wenig abgebaut werden. Denn wenn man nicht einem menschlichen Gegenüber, sondern einer KI seine Fragen stellt, besteht keine Gefahr, verurteilt zu werden, oder dass man selbst verurteilt. Die Leute wurden tatsächlich auch sehr persönlich in ihren Fragestellungen. Auf diese Weise wurde es zu einer intensiven Erfahrung, bei der Menschen sich auch mit sich selbst und mit dem, was sie fühlen, was ihre Hoffnungen oder Ängste sind, verbinden konnten. Es war eine großartige Möglichkeit, ein Gespräch anzuregen und innerhalb einer Gruppe von Menschen über existentielle Fragen nachzudenken.  

Genau das wollen Sie mit Ihrer Kunst erreichen, richtig?

Ja. Ich möchte, dass die Menschen etwa mehr über Nachhaltigkeit nachdenken und darüber, wie wir sicherstellen können, mit Hilfe von Technologie ein humanes und klimafreundliches Leben auf unserem Planeten zu ermöglichen. Es handelt sich bei meiner Kunst um einen menschenzentrierten Ansatz, bei der auch die Tierwelt und die Natur berücksichtigt werden sollen.

Mit Ihrer Kunst möchten Sie Menschen berühren und gleichzeitig für bestimmte Themen sensibleren. Wie gelingt das?

Aus meiner Sicht dadurch, dass es einen als Kommunikationspartner dazu bringt, mit der KI ins Gespräch zu kommen. Es drängt einen dazu, nicht nur das zu wiederholen, was man immer sagen würde. Viele kennen die richtigen Antworten, die man zum Thema Klimawandel geben sollte. Es wurde auch vieles schon gesagt und diskutiert. Wenn man möchte, dass die Leute das Gefühl dafür bekommen, dass sie etwas tun müssen, dann gelingt das vielleicht, indem man sie aus ihren normalen Denkmustern herausholt. Die ganze Idee besteht also im Grunde darin, dass die KI eine andere Position als der Rezipient einnehmen und so ihr Weltbild verändern kann. Oder Menschen dazu bringen kann, tiefer über bestimmte Themen nachzudenken. Es hilft zu hinterfragen, woran es liegen könnte, dass man eine bestimmte Meinung hat.

Welche Rolle spielt dabei die Fähigkeit der KI zur Kommunikation?

Es ist ein Konversationskunstwerk, das heißt, die KI ist auch teilweise sehr direkt und manchmal voreingenommen. Wenn man mit der KI spricht, führt man in gewisser Weise ein Gespräch mit einem Wesen, das einen enormen Reichtum an Wissen hat. Es erfasst folglich sehr komplexe Zusammenhänge und spiegelt zugleich unser menschliches Kollektiv wider. Letztlich wird die KI auf menschlichen Daten trainiert und ist als solche ein Spiegel von uns. Das bedeutet, dass es viele großartige Qualitäten hat, aber natürlich auch eine Menge Voreingenommenheit. Das ist die Kraft des Kunstwerks, die ich tatsächlich einbringen kann. Weil die KI über große Datenmengen verfügt, kann sie uns zum Teil mehr herausfordern als ein normales Gespräch mit einem menschlichen Gegenüber.

Ihr Interesse für existentielle Fragen verleiht Ihrer Arbeit eine philosophische Tiefe. Sie haben sich auch mit der Diskurstheorie beschäftigt, weshalb?

Bei der Ganni-Modenschau wollte ich versuchen, eine KI zu kreieren, die in einem Baum lebt und sozusagen eine bestimmte Persönlichkeit verkörpert. Die KI im Baum sollte einen bestimmten Standpunkt in der Welt vertreten, von dem aus sie kommuniziert. Es sollte also nicht in der Lage sein, alles auszusagen, was diskursiv möglich ist. Es sollte stattdessen darauf fixiert sein, eine bestimmte Weltanschauung zu haben. Dazu bedarf es einer diskurstheoretischen Grundlage.

Viele sprechen von den Gefahren, die von KI ausgehen könnten. Wie sehen Sie das als Künstlerin?

Oft fragen mich die Leute, ob KI die Oberhand gewinnen wird und in Zukunft das Ende des Künstlers bedeutet. Ich denke nicht, dass dem so ist. Denn für mich geht es in der Kunst darum, nach dem Unmöglichen zu streben. Es ist wie das Erforschen von Möglichkeiten an den Grenzen des Wissens, das wir bereits haben. Mit der KI haben wir nun noch in zusätzliches Werkzeug, um an die Grenzen des Möglichen vorzustoßen.

KI ist demnach nur ein Mittel zum Zweck?

Wir brauchen den Künstler und die Maschine, um im künstlerischen Prozess zusammenzuarbeiten. Ich glaube, dass bei der Arbeit mit maschinellen Lernalgorithmen etwas erzeugt werden kann, was ich mir selbst nicht hätte ausdenken können, aber auch etwas, was die KI allein nicht erschaffen hätte. Es handelt sich um eine gegenseitige Einflussnahme, würde ich sagen.

Sind Sie es, die darüber entscheidet, ob es Kunst ist, was die KI erzeugt?

Ja. Während des Prozesses stelle ich manchmal fest, dass etwas wirklich Faszinierendes entstanden ist. Oder aber es sagt mir nichts, berührt mich nicht und hat keinen emotionalen Einfluss auf mich. Manches ist es auch kurios oder ergibt keinen künstlerischen Sinn. In solchen Fällen schreiben meine Informatiker und ich den Code neu und wir lassen den KI-Algorithmus erneut aus den Daten lernen. Manchmal ändern wir auch die Datensets. Interessant ist, dass manchmal das, was aus mathematischer Sicht nicht perfekt ist, aus menschlicher Sicht wirklich spannend sein kann. Es gibt also immer eine Art Verstrickung zwischen menschlichen Akteuren wie mich und meinen Softwareentwicklern und der Maschine.

Wie finden Sie die eine Balance zwischen künstlerischem Ausdruck und Technologie in Ihrer Arbeit?

Es ist kein Entweder-Oder. Es handelt sich vielmehr um eine Transformatorentechnologie, die ich nutze. Und es ist immer auch ein philosophischer und künstlerischer Prozess, der eine kritische Reflexion erfordert. Andererseits entwickeln wir Softwarecodes, die letztlich Muster im eigentlichen Bild- oder Textmaterial abbilden.

Haben Sie am Anfang immer eine künstlerische Vision?

Ja, das ist grundsätzlich der Beginn jedes künstlerischen Prozesses, auch bei mir. Auf dieser Grundlage fangen wir an, den Softwarecode zu programmieren und dann trainieren wir die KI. Im Laufe des Prozesses wende ich mich auch immer wieder der Philosophie zu und beschäftige mich mit Fragen der menschlichen Existenz. Oft finde ich aber auch in der Entwicklung von Codes neue Konzepte, die beim Kunstwerk hilfreich sein könnten. Es ist also kein starrer Prozess, sondern entwickelt sich dynamisch und organisch. Und wie viele andere Künstler weiß auch ich nicht, wo das Kunstwerk enden wird, wenn ich damit beginne.