Metamorphosen-Ausstellung in Genf

Wahrhaft ein prächtiger Schmetterling

In Genf erforscht die Ausstellung "Chrysalis" das Motiv der Metamorphose. Dabei schafft sie eine ganz eigene Erzählung zwischen Sexualität, Spiritualität und Ökologie 

Ventura Profana hebt den Kopf, ihr Blick entschlossen wie der eines Stiers vor dem Torero. Hinter ihr steht ein Mann und malträtiert ihren nackten Hintern mit Nadeln. Als die Kamera um die transsexuelle Performerin herumwandert, sieht man, was sie sich eintätowieren lässt: das Wort Familie. Denn für Queere und Transsexuelle wie die in Belo Horizonte lebende Profana ist die Wahlfamilie aus Gleichgesinnten der alles entscheidende Schutz gegen eine Gesellschaft, die sie abwertet und hasst.

"Chrysalis: The Butterfly Dream" ist der Titel der Ausstellung im Centre d’Art Contemporain Genève, in der Profanas große Filminstallation nur eines von vielen bildkräftigen Werken ist, die sich mit dem Thema der Metamorphose beschäftigen. Die Schmetterlinge, die anders und schöner aus ihrer Verpuppung kommen, das sind in dieser Ausstellung oft Drag-Ikonen wie der britische Modemacher Leigh Bowery, Post-Gender-Künstler wie Genesis P-Orridge oder Sin Wai Kin aus London, mit Videos, die eine grazile Mischung aus Drag und kantonesischer Oper in Szene setzen.

Kurator Andrea Bellini legt jedoch Wert darauf, dass es bei seiner sorgfältig zusammengestellten Schau längst nicht nur um Transsexualität geht. Auch Metamorphosen zwischen Mensch und Tier, hier beispielsweise in zarten Zeichnungen von Kiki Smith zu sehen, sind tief in der Kulturgeschichte verankert. Fantastische Veränderungen gehören auch zum Standardrepertoire psychedelischer Zustände bis zur Psychose: Mit großer Selbstverständlichkeit integriert die Schau Werke von sogenannten Outsider-Artists oder spirituelle Arbeiten wie die geheimnisvollen Zeichnungen von Mischwesen zwischen Tier und Pflanze, die die Französin Marie Bouttier Ende des 19. Jahrhunderts im Trancezustand schuf.

Solitäre wie der 1943 geborene Italiener Luigi Ontani mit seinen fantastischen Tableaux vivants bekommen ihren Auftritt neben aktuellen digitalen Metamorphose-Fa­ntasien wie von Marianna Simnett, die in einer Hommage auf die Flöte spielende Göttin Athena ihr eigenes Abbild durch die Stadien von Schönheit und Hässlichkeit morpht. So fasst "Chrysalis" zahlreiche aktuelle Stränge zusammen, vom Schamanismus bis zur Ökologie, von aktuell zu historisch, und schafft dabei eine ganz eigene Erzählung – wahrhaft ein prächtiger Schmetterling.