Das MoMA als Gender-Bender:


Pipilotti Rist, die Schweizer Demoiselle mit dem hinreißenden Namen, die uns zwei Jahrzehnte lang mit ihren farbenfrohen Video visionen entzückt hat, erklimmt neue Höhen halluzinogener Glück seligkeit. Ihre schwelgerisch schöne, 8 mal 60 Meter große Videoinstallation, die das Atrium des Museum of Modern Art in New York umspannt und unter anderem zwei runde, von der Wand ragende Projektorengehäuse in Form weiblicher Brüste sowie Nahauf- nahmen von pinkfarbenen Tulpen, einem schwarzen Schwein und einer drallen Nackten zu bieten hat, ist ein Fest für das Auge und eine Hormonspritze für eine Institution, die es dringend nötig hat.
 

„Pour Your Body Out“, so der Titel der Installation, ist eine der betörendsten rebellischen Gesten in der Kunst, seit Lynda Benglis ihre berüchtigte „Artforum“-Anzeige schaltete, für die sie nackt posiert und einen Dildo wie einen Schwanz vor ihr Geschlecht gehalten hatte. Benglis’ Aktion war damals ein Weckruf, ein Schlag ins Gesicht einer voreingenommenen Kunstwelt; Rists Videoinstallation  versetzt uns in ein ursprüngliches Meer aus allem, was fließt, und nimmt am Museum of Modern Art eine metaphysische Geschlechts- umwandlung vor. Das Atrium dieser Bastion der Männlichkeit verwandelt sich in einen Mutterleib, das Museum wird zur Frau. Man könnte sagen, Rist bringt die Institution zum Eisprung – abstrakt gesehen. Ihre Installation ist eine Schwängerung, eine Beschwörung und, nicht zuletzt, ein Exorzismus.

 

Das MoMa ist und bleibt – trotz dieses Videos und trotz der Mitte Februar beendeten Marlene-Dumas-Retrospektive – ein Ort, an dem Kunst von Frauen eine Rarität darstellt, vor allem in der ständigen Ausstellung. Rists übergroße Bilder kommentieren die dahinterstehende Misogynie – und reagieren darauf. Sie hat das Atrium mit magentafarbenen Vorhängen verkleidet und in einen Ballsaal verwandelt, in ein hoppersches Filmtheater, ein Bordell, ein Wohnzimmer. Ihre Bilder schmiegen sich an die scharfkantige Architektur und lösen ihre Formen auf. Schwerfällig dudelt Musik, der Klingklang von Glocken. Der Raum ist mit Teppichboden ausgelegt, und dort, wo sich sonst Barnett Newmans phallischer „Broken Obelisk“ erhebt, steht eine riesige, ringförmige Couch. Überall sind Schuhe und Mäntel, Menschen liegen auf dem Boden, lehnen an den Wänden, schlafen, lümmeln in Grüppchen auf dem Teppich und der Couch. Bei einem meiner Besuche schlenderte der Maler Gary Stephan vorbei und sagte: „Schade, dass ich kein Gras dabeihab’.“ Das Museum als Halluzination, Opiumhöhle, Lotusland, geheimes Kämmerchen, Vergnügungstempel: Trance Central Station.
 

Rists 16-minütiger Videoloop verwertet die Farben des Fauvismus, die fragmentierten Formen des Kubismus, die anstößigen, ungelenken Akte der Moderne. Ihre Bilder handeln von Lust, Politik und Biologie. In einem Interview mit dem Kurator Klaus Biesenbach spricht sie über „unser tiefes Verlangen, uns mit anderen zu synchronisieren“, über „unsere Liebe zu Flüssigkeiten und zum Wasser“. Es gibt Leute, die halten das alles für kaum mehr als einen kunterbunten Hippiemummenschanz. Wer so denkt, ignoriert die Raffinesse und den subversiven Gehalt von Rists Installation.
 

Ihre Bilder haben einen Subtext, und das ist der metaphysische Östrogenstoß, den sie dem Museum verpasst. Am Ende der Filmschleife wird das Atrium von einer Flutwelle aus karmesinroten und burgunderfarbenen Tönen geflutet. Vorher sieht man ein Schwein beim Nagen an einem Apfel, Zehen zermatschen Früchte, riesige Erdbeeren treiben in einer klaren Flüssigkeit, ein Mädchen kriecht nackt durchs Gras. Sie scheint nur aus Hüften, Haaren und Brüsten zu bestehen und streichelt zwei Regenwürmer, als liebkose sie lebende Phallusse – als gelte es, Evas Apfel die Unschuld zurückzugeben.

Sie füllt den Mund und die Nasenlöcher einer anderen Person mit Blütenblättern, sie isst Tulpen, sie gräbt mit den Fingern in der Erde – eine weltentrückte Erdmutter, die einen modernen Fruchtbarkeitsritus vollführt, der das MoMA in Wallung versetzt, zum Leben erweckt. Ein riesiges Auge öffnet sich, eine nackte Frau treibt kopfüber im Wasser, Blut rinnt über ihre Brust. Schließlich erhebt sich eine gigantische Frau in einem weißen Badeanzug aus dem Wasser, zwischen ihren Beinen ein Strom von Blut, und das gesamte Atrium färbt sich rot. Das MoMA wird – im Wortsinne – erwachsen. Was bei Richard Serra hart und trocken ist, ist bei Pipilotti Rist weich und feucht. Dabei privilegiert ihre Kunst nicht das Auge wie etwa Gustave Courbets delikates Vulvabild „Der Ursprung der Welt“, sondern ist ein Ganzkörpererlebnis. Wie Matthew Barney, der wie ein symbiotischer Organismus durch Räume kriecht, wie die riesige, liegende Nackte von Niki de Saint Phalles und Jean Tinguely, die zwischen den geöffneten Beinen zu betreten war, so möchte auch Rist das Museum in einen Generator der Ekstase verwandeln.
 

Allerdings ist Ekstase in der westlichen Welt geächtet, und wenn sie zudem noch weiblich ist, wird sie ganz tabuisiert. Einem hartnäckigen Gerücht zufolge haben die Verantwortlichen des MoMA die Künstlerin gebeten, auf das Rot zwischen den Beinen zu verzichten. Offenbar ist die Magie des Schoßes also unstatthafter als die des Geistes. Oder, in klassischen Begriffen: Das Dionysische ist noch immer bedrohlicher als das Apollinische. Rists Installation ohne Blut? Das ist, als würde man versuchen, sich das Leben selbst ohne Blut vorzustellen.
 

MoMA, New York, 19. November 2008 bis 2. Februar