Alfred Weidingers Zeit in Leipzig

Das Museum wurde ein relevanter sozialer Raum

Museumsdirektor Alfred Weidinger wechselt von Leipzig nach Linz. Unsere Autorin findet: ein großer Verlust für das Museum und die Kunstszene der sächsischen Stadt. Eine Würdigung 

Er hat das Leipziger Museum der bildenden Künste (MdbK) knapp drei Jahre lang umgekrempelt – und die junge lokale Kunstszene gleich mit. Vor einigen Monaten verkündete Direktor Alfred Weidinger allerdings die vorzeitige Beendigung des Jobs. Im April kehrt er wieder in sein Heimatland Österreich zurück, wo er schon zuvor Kurator und Ausstellungsmacher im Wiener Belvedere und 21er Haus war. Diesmal geht es nach Linz, an das Oberösterreichische Landesmuseum.

Der Weggang ist ein Verlust für Leipzig. Stark in Erinnerung bleiben wird sein Interesse an der hiesigen Kunstwelt – etwas ganz Natürliches für den Direktor eines Stadtmuseums, möchte man meinen. Für Leipzig war dies jedoch ungewohnt. Galeristin Arne Linde beobachtete das von Anfang an genau, immerhin ist ihre Galerie ASPN auf dem Spinnereigelände schon seit knapp 15 Jahren in der Stadt verwurzelt: "Was als erstes spürbar war, waren die Neugier und die Offenheit für die hiesige Szene. Weidinger ist in alle Galerien gegangen, in Offspaces und Ateliers. Wo früher wenige Ausstellungen, kaum Engagement für das gegenwärtige künstlerische Geschehen und quasi keine Ankäufe oder Ausstellungen für junge Kunst passiert sind, öffnete sich der Elfenbeinturm plötzlich und das Museum wurde wieder ein relevanter sozialer und diskursiver Raum."

Was er im Museum anfänglich zu tun hatte, war Weidinger von Anfang an klar. An seinen ersten Besuch erinnert er sich so: "Es war wenig lebendig und vor allem sehr dunkel. Das Museum wurde nur von einigen älteren Menschen besucht; kein Ton war zu hören." Eine Steilvorlage für jemanden, der plante, das Museum mit seinen 10.000 Quadratmetern in alle Richtungen zu öffnen: "Mir war wichtig, dass dieses Haus zu einer Location wird. Nicht im negativen Sinn, sondern dass es eine Selbstverständlichkeit ist, dass man ins Museum geht." Er machte die Fenster und Türen auf, lüftete durch und ließ Licht in die moderne Architektur aus Beton, Glas und Holz.

Hereinspaziert, junge Kunst

Zentral waren auch weiterhin Ausstellungen der umfangreichen Kunstsammlungen mit Werken von Caspar David Friedrich, Frans Hals, Max Klinger oder Max Beckmann. Vor allem die Kunst der DDR mit Underground-Künstlern wie etwa Klaus Hähner-Springmühl arbeitete er ganz neu auf. Doch neues Publikum aus Leipzig und darüber hinaus holte er vor allem mit gegenwärtiger Kunst. "Performance, Installationskunst, alles was nicht so einfach ist. Nicht ganz die leichte Kost," sagt Weidinger. Dazu gehören Ausstellungen wie "Virtual Normality - Netzkünstlerinnen 2.0" oder aktuell "Link in Bio – Kunst nach den Sozialen Medien" (beide kuratiert von Monopol-Kolumnistin Anika Meier). 

Er zeigte Künstler und Künstlerinnen wie Ren Hang, Ayşe Erkmen und Mona Hatoum, Titus Schade, Paule Hammer, Judith Fegerl, das Malerinnennetzwerk oder Besuchermagneten wie Yoko Ono und Udo Lindenberg – offensiv nach außen kommuniziert über die sozialen Medien. Und das alles mit einer ungekannten Schlagzahl: Mehrere Ausstellungen liefen und laufen parallel und zeitversetzt im gesamten Haus, in den verschiedenen Stockwerken, auf unterschiedlichen Ebenen und in den sieben 16 Meter hohen Hallen, mit einer ebenso hohen Dichte an Vernissagen und Veranstaltungen. Weidinger dazu: "Klar verpasst man einige Ausstellungen, oder vielleicht auch mehrere. Das macht aber nichts. Aber man hat gelernt, und das war mir wichtig: Man geht ins Museum und erlebt immer wieder etwas Neues. Und es ist für jeden etwas dabei, auch für jede Generation und für unterschiedliche Interessen."

Mitarbeiter-Puls wurde schneller

Dieses Tempo, spontane Ausstellungsideen und künstlerische Aktionen ließen nicht nur das Kunstherz höherschlagen, sondern auch den Mitarbeiter-Puls schneller werden. Nicht immer ganz einfach - aber eine Chance für jene, die damit umzugehen wissen. Das berichtet auch MdbK-Kurator Marcus Andrew Hurttig: "Er lässt einen machen. Man muss schnell arbeiten, aber im Wissen, dass man auch Fehler machen darf. Dann geht es darum, keine Probleme, sondern Lösungen anzubieten, die dürfen dann auch sehr ungewöhnlich sein." 

Weidinger führte flache Hierarchien ein, die dann natürlich auch Eigeninitiative brauchen. Bei Hurttig trat er damit offene Türen ein: "Ich habe eigene Ideen wie Michael Riedel oder 'Impressionismus in Leipzig' realisiert. Er hat mir Projekte übergeben. Ich durfte alles selber machen. Er hat mir vertraut. Ich war frei. Das hat mir gut gefallen."

"Entschleunigen tun wir nicht," resümiert Marcus Andrew Hurttig die vergangenen Jahre mit Alfred Weidinger. Improvisiert haben sie dabei immer wieder. Der Noch-Direktor setzte sich dabei auch mal selbst in den Transporter, um Kunstwerke abzuholen. Das Konzept ging jedenfalls auf und die Besucherzahlen haben sich verdoppelt.

Jetzt wartet Linz

Mit demselben Schwung geht Alfred Weidinger nun nach Linz. Im Oberösterreichischen Landesmuseum mit seinen 22 unterschiedlichen Sammlungen an verschiedenen Standorten will er stark interdisziplinär arbeiten. Natur-, Kultur- und Kunstgeschichte verbinden: "Das traditionelle Kunstmuseum wird es immer geben, das ist keine Frage, das hat seine Berechtigung. Aber wenn man über neue Museen nachdenkt, dann muss das einfach etwas ganz anderes sein," sagt er. "Demokratie muss auch im Museum möglich sein, es sollte interdisziplinärer werden, und vor allem sehr viel toleranter und sich von grundlegenden Idealen des 19. Jahrhunderts verabschieden. Das sind einige wesentliche Parameter, die ich mir dabei vorstelle."

Das Bewerbungsverfahren für seine Nachfolge in Leipzig läuft. Bleibt zu wünschen, dass der Drive der letzten Jahre erhalten bleibt.