Rückblick

Das war das Kunstjahr 2011

11. Januar: Die Galerie Eigen + Art wird überraschend nicht zur 42. Art Basel zugelassen. Die von Gerd Harry Lybke gegründete Galerie mit Sitz in Leipzig und Berlin hat entschieden zum Aufstieg der Neuen Leipziger Schule beigetragen, die nicht nur mit ihrem prominentesten Vertreter Neo Rauch Spitzenpreise auf dem Kunstmarkt erzielt. In ihrem Schreiben an die Galerie teilt die Kunstmesse Art Basel keine näheren Gründe für die Ablehnung mit. Der Ausschluss entfacht eine Diskussion über Zulassungskriterien von Kunstmessen.

22. Januar: Die VIP Art Fair startet, die erste Online-Kunstmesse der Welt. Bei der Messe können sich Sammler von zu Hause aus über das Angebot auf dem internationalen Kunstmarkt informieren. Zu den Gründungsmitgliedern gehören die US-Galerien Gagosian und David Zwirner, das Londoner Haus White Cube, Hauser & Wirth aus Zürich und die Berliner Galerie Max Hetzler. Obwohl die Messe bei ihrer ersten Ausgabe unter massiven technischen Problemen litt, will man 2012 einen zweiten Anlauf wagen.

1. März: Mexikos Präsident Felipe Calderón eröffnet ein neues Museum in Mexiko-Stadt: Das Gebäude ist samt seiner rund 66.000 Kunstwerke ein Geschenk des mexikanischen Unternehmers Carlos Slim, der sich und seiner 1999 gestorbenen Frau Soumaya in der mexikanischen Hauptstadt damit ein Denkmal errichten wollte. Entworfen hat den Bau - eine Stahlkonstruktion, die Formen des Bildhauers Auguste Rodin nachempfunden ist - der mit Slims Tochter Soumaya verheiratete Architekt Fernando Romero. Rodins Werke stehen im Hauptsaal im sechsten Stock. Die Werke hat Slim in Auktionshäusern ersteigert.

Mitte März:
Mehr als 130 internationale Künstler und Kuratoren Künstler verlangen in einer Petition die Einhaltung der Menschenrechte beim Bau der Guggenheim-Filiale in Abu Dhabi, der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate – und drohen mit einem weltweiten Boykott. Sie fordern bessere Bedingungen für die Gastarbeiter auf der Baustelle. Zu den Unterzeichnern gehören Shirin Neshat, Martha Rosler, Barbara Kruger, Rirkrit Tiravanija, Monica Bonvicini, Hans Haake, Katharina Sieverding, Harun Farocki und Marcel Odenbach. Der im Libanon geborene Walid Raad, gemeinsam mit Emily Jacir Organisator des Boykotts, schreibt in einem Statement: „Denjenigen, die mit Steinen und Mörtel arbeiten, sollte der gleiche Respekt zustehen, wie denjenigen, die Kameras und Pinsel benutzen.“

1. April:
Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) eröffnet in der chinesischen Hauptstadt Peking die Ausstellung «Die Kunst der Aufklärung». Sie zeigt ein Jahr lang Exponate aus deutschen Museen. Die Verhaftung des bedeutendsten chinesischen Gegenwartskünstlers Ai Weiwei durch das Pekinger Regime am 3. April schlägt auch in Deutschland hohe Wellen. Erst nach 81 Tagen wird der Regimekritiker unter strengen Auflagen in Hausarrest «entlassen», die Behörden fordern umgerechnet 1,7 Millionen Euro Steuernachzahlung von ihm. «Kunst der Aufklärung», eigentlich als Highlight des Kulturjahres gedacht, geriet in die Kritik. Schaut Deutschland dem Umgang chinesischer Behörden mit Dissidenten tatenlos zu? Forderungen, die hochkarätige Mammutschau aus Protest zu schließen, blieben ungehört - sie läuft noch bis 31. März 2012.

6. April: Der Kurator Jack Persekian wird überraschend als Direktor der Sharjah Biennale entlassen. Die Anweisung kommt von Scheich Sultan bin Mohammed, Machthaber im Emirat Schardscha. „Grund der Kündigung war der Einwand der Besucher gegen den Inhalt eines einzigen Kunstwerks“, sagt Persekian. Die Installation des Künstlers Mustapha Benfodil wurde zwei Wochen nach Eröffnung der Schau abgebaut: Benfodil hatte kopflose Schaufensterpuppen als Fußballmannschaften kostümiert. Auf den Trikots standen unter verballhornten Namen von Freiheitskämpfern verschiedene Texte in Arabisch und Englisch - offenbar auch Aussagen, die man als Blasphemie verstand.

ab 11. Mai: Zur vierten Monumenta Paris verwandelt Anish Kapoor die Halle des Grand Palais in einen Walbauch, in einem begehbaren Schlauch mit drei Ausbuchtungen. „Leviathan“, so heißt das Großwerk des in Großbritannien lebenden indischen Künstlers, ist nach dem biblischen Seeungeheuer benannt. Kapoor, geboren 1954 in Bombay, ist der vierte Künstler, der das beeindruckende Bauwerk aus dem Jahr 1900 bespielen darf.

28. Mai: Die geplante Zusammenlegung der Kunstmesse Art Forum Berlin mit der ABC, der Herbst-Veranstaltung der Berliner Galerien, scheitert. Damit ist das Art Forum am Ende. Die Messe Berlin, die das Art Forum Berlin organisiert, begründet das Scheitern der Fusion mit den „abweichenden Vorstellungen über die Aufgabenteilung“.

29. Mai bis 1. April: In Berlin findet das Gallery Weekend Berlin statt. 30.000 Besucher sollen auf den Rundgängen zwischen den 44 teilnehmenden Galerien unterwegs sein. Internationale Sammler, Kuratoren und Museumsleute sind in der Stadt, am Dinner im Postbahnhof am Gleisdreieck nehmen rund 1.000 Gäste teil.

4. Juni:
Deutschland gewinnt mit dem Beitrag des verstorbenen Künstlers Christoph Schlingensief den Goldenen Löwen für den besten Länder-Pavillon auf der Kunstbiennale in Venedig. Der Theater-, Opern- und Filmregisseur Schlingensief war im August 2010, vier Monate nach seiner Ernennung für den Deutschen Pavillon, im Alter von 49 Jahren an Krebs gestorben. Die Kuratorin Susanne Gaensheimer entschied daraufhin gemeinsam mit seiner Witwe Aino Laberenz, eine Auswahl seiner bisherigen Projekte im Pavillon zu präsentieren.

8. Juni. In Berlin eröffnet die vorab viel diskutierte Schau "based in Berlin". 80 ausgewählte emerging artists, die ihren Lebensmittelpunkt in Berlin haben, zeigen ihre Werke an verschiedenen Ausstellungsorten. Das Projekt wird maßgeblich von Regierungschef Klaus Wowereit unterstützt, der in Berlin zu wenige Orte für Gegenwartskunst sieht. Eine feste Kunsthalle ist aber im Finanz-Haushalt nicht vorgesehen. Monopol lädt am 20. Juli in der Reihe der „Magazine Nights“ im Rahmen von „based in berlin“ zur wahren Leistungsschau: Künstler, Kuratoren und Monopol-Redakteure treten beim Tischtennis gegen Herausforderer an.

28. September: Cyprien Gaillard erhält den Preis der Nationalgalerie für Junge Kunst 2011 und setzt sich mit seinem Film „Artefacts“ gegen Klara Lidén, Andro Wekua, Kitty Kraus durch. Der 1980 geborene Franzose hatte an den archäologischen Stätten des antiken Babylon gedreht, wo amerikanische Soldaten über antike Ruinen stolpern und Jeeps auf frühe Menschheitsgeschichte stoßen. Die Jury sagt: „Eine eindrückliche Reflexion über den Mythos Babylon, der durch den Bezug zum Krieg im Irak eine besondere Aktualisierung erfährt. Die kraftvollen betörenden Bilder sind bewusst so ineinander geschnitten, dass eine hypernervöse, fast hypnotische Wirkung entsteht, die unsere Aufmerksamkeit auf unsere eigene kulturelle Befindlichkeit lenkt.“ Die Werke der vier Künstler sind noch bis zum 8. Januar im Berliner Museum Hamburger Bahnhof zu sehen.

14. Oktober: Gerhard Richters «Kerze»  von 1982 kommt beim Auktionshaus Christie's unter den Hammer. Es erzielte mit 10.457.250 britischen Pfund (11,98 Millionen Euro) den höchsten Preis bei der Londoner Christie's-Herbstauktion von Nachkriegskunst und zeitgenössischen Werken. «Kerze» gehört zu einer Serie, die der deutsche Künstler Anfang der 80er-Jahre malte. Es gilt als Symbol für den schweigenden Protest der DDR-Bürger gegen das sozialistische Regime. Eine Woche vor der Versteigerung kommentierte Richter in London den möglichen Auktionspreis: «Das ist genauso absurd wie die Bankenkrise - unverständlich, albern, unangenehm.»

19. Oktober: US-Videokünstler Bill Viola und der der indisch-britische Bildhauer Anish Kapoor nehmen in Tokio den Praemium Imperiale des japanischen Kaiserhauses entgegen. Die Auszeichnung gilt als eine Art «Nobelpreis der Künste».

27. Oktober: Die Angeklagten im Kunstfälscherskandal werden verurteilt. Der «Fälscherfürst» Wolfgang Beltracchi hatte mit seiner Frau und zwei Komplizen über Jahre hinweg mit Fälschungen von Avantgarde-Künstlern fast zehn Millionen Euro ergaunert. Das Urteil fällt gleichwohl milde aus. Im Gegenzug für sein Geständnis erhielt Drahtzieher Beltracchi nur sechs Jahre Haft. «Lenken Sie Ihr Talent in legale Bahnen», empfiehlt ihm der Richter zum Abschluss.

3. November: In einem Dortmunder Museum putzt eine Reinigungskraft Teile des Kunstwerks «Wenn's anfängt durch die Decke zu tropfen» von Martin Kippenberger weg. Die Arbeit des Künstlers Martin Kippenberger (1953-1997), eine Dauerleihgabe für das Museum Ostwall im Dortmunder U, besteht aus einem menschenhohen Holzplattenturm. Unten in der Mitte befand sich ein Gummitrog mit einem weißlichen Kalkfleck und eben diesen hat die Putzfrau an allen vier Seiten weggeputzt. Eine Museumsrestauratorin hält das Werk für nicht wiederherstellbar – die Sache ist nun ein Fall für die Versicherung.

9. November: Das New Yorker Auktionshaus Sotheby's verkauft Clyfford Stills „1949-A-No.1“ (1949) für eine Rekordsumme von 61,68 Millionen Dollar. Es wird zum teuersten Gemälde das Sotheby´s 2011 verkauft. Zwei Tage später wird bei Christie's ein Rekord für die Werke von Roy Lichtenstein erzielt. Den Zuschlag für «Ohhh...Alright...» von 1964 erhält für 42,6 Millionen Dollar ein unbekannten Bieter am Telefon. Das bisher teuerste Lichtenstein-Bild, «In the Car» von 1963, war vor fünf Jahren für 16,2 Millionen Dollar versteigert worden.

12. November: Die Performance-Künstlerin Marina Abramović tritt als künstlerische Leiterin beim jährlichen Dinner für Sponsoren im Museum of Contemporary Art (MOCA) in Los Angeles auf - und sorgt für Diskussion. Die Künstlerin Yvonne Rainer bezeichnet Abramovićs Vorhaben als "kriminell". Die engagierten Performer werden nicht nur finanziell ausgenommen, sondern es werde auch ihre Hoffnung auf Kontakt zu der populären Künstlerin missbraucht. Die von Abramović ausgewählten Darsteller saßen für drei Stunden auf Drehscheiben unter den gedeckten Esstischen und erhielten für insgesamt 15 Arbeitsstunden 150 US Dollar.

4. Dezember:
Martin Boyce erhält den mit 25.000 britischen Pfund dotierten Turner-Prize und hat sich damit gegen die Mit-Nominierten George Shaw, Karla Black und Hilary Lloyd durchgesetzt. Boyce passe gut „zum derzeitigen Interesse, das zeitgenössische Künstler an der historischen Moderne haben“, begründete die Jury ihre Entscheidung. Die Kandidaten-Ausstellung ist noch bis zum 8. Januar im Baltic Centre for the Contemporary Art Gateshead zu sehen.
(monopol/dpa)


Einen Jahresrückblick von Künstlern und Kuratoren finden Sie in der Monopol-Ausgabe 01/2012