Neu im Kino: "Georg Baselitz"

Der Isolationsfanatiker

Der Maler und Bildhauer Georg Baselitz inszeniert sich gerne als polternder Außenseiter. Aber er kann auch anders: Ein Dokumentarfilm, der jetzt in die Kinos kommt, zeigt den 75-Jährigen mit einem milden und klaren Blick aufs eigene Leben

Dass hinter erfolgreichen Künstlern oft energische Frauen stehen ist bekannt. Zu Recht räumt die Regisseurin Evelyn Schels im Dokumentarfilm „Georg Baselitz“ auch der Frau des Künstlers viel Platz ein. Baselitz, der kürzlich mit der Behauptung "Frauen malen nicht so gut" für Irritation sorgte, lernte Elke Kretzschmar 1958 kennen, nachdem er von Ost- nach Westberlin gezogen war. Sie fotografiert, archiviert und kommentiert seitdem seine Werke, ist Muse und Managerin, hat seinen Wandel vom gesellschaftlichen Haudegen und Isolationsfanatiker zum weltberühmten Künstler mit milderen Gesichtszügen mitgelebt.

"Lange Zeit habe ich gesagt, ich kann meine Frau, die ich sehr liebe, gar nicht malen. Ich habe das erst gekonnt, als ich angefangen habe, verkehrt herum zu arbeiten", erinnert sich Baselitz. Warum, bleibt ungeklärt. In den 70er-Jahren machten ihn diese Bilder "auf dem Kopf" bekannt. Aber noch kurz davor, 1963, sollte sogar die Nähmaschine seiner Frau gepfändet werden. Die Staatsanwaltschaft hatte zwei Werke ihres Mannes, darunter "Die große Nacht im Eimer", wegen Sittenwidrigkeit beschlagnahmt und den Künstler verklagt. Schels erzählt die Geschichte dieses Skandals in Zeitungsausschnitten und Fotografien, spricht mit den damaligen Galeristen Michael Werner und Benjamin Katz. Er wollte "Schweinerei machen", klar. Aber welche Qualitäten hat dieses angeblich anstößige Gemälde, das einen kleinen Jungen mit einem riesigen Phallus zeigt? Diese Fragen bleiben unbeantwortet. Das Fehlen einer kunsthistorischen Einordnung ist wohl die größte Schwäche dieses umfangreichen Künstlerporträts.

Mehrere Jahre lang hat Schels (die auch schon Jean Tinguely oder Henri Matisse filmisch porträtierte) den Maler und Bildhauer begleitet. Sie hat mit ihm vor dem Hintergrund seiner farbgetränkten Bilder über die Widerspenstigkeit des jungen Baselitz gesprochen, hat ihn in seinen Ateliers beobachtet, wie er auf dem Boden malt, ist ihm in seine expressiven Bilder und auf Vernissagen gefolgt. Baselitz‘ Anspruch, seine Kunst solle erzählen und nicht interpretiert werden, wendet Schels auf seine Person an, wodurch jedoch ein zu perfektes Charaktergemälde entsteht.

Erst kurz vor Filmende beschreibt ihn sein Sohn, der Galerist Anton Kern (hier im Interview über seinen Vater), als ehemaligen „Patriarchen“, was aber sogleich damit neutralisiert wird, dass er bei seinen Enkelkindern alles richtig mache. Als Elke durch ein Fotomappe blättert, bleibt der Blick auf einem Foto hängen: Es zeigt Baselitz, wie er bleich und erschöpft auf einem Stuhl hängt, nachdem er stundenlang eine Holzskulptur bearbeitet hat. Solche Bilder der Schwäche wären interessant. In der Dokumentation sind sie selten.

"Ich bin der Dritte von der Spitze"

Schels verbindet die Kunst von Baselitz unmittelbar mit der Biografie von Hans-Georg Kern: Aufgewachsen im sächsischen Deutschbaselitz (die Quelle seines Künstlernamens) während des Zweiten Weltkriegs, der Vater Nazi ("Das Verhältnis von Sohn und Vater ist ja nie gut"), ein Onkel, der ihn zur Kunst bringt. DDR-Jugend, Verweis von der Kunsthochschule, Umzug in den Westen, Skandale, Erfolge, große Galerien. Lebensabschnitte, die jeweils mit pathetischer Musik unterlegt werden.

Obwohl sich Baselitz in seinen eigenen Schriften größtenteils poetisch nebulös ausdrückte und den Hang dazu hatte, Interviews selber zu lenken, zeigt er sich in diesem Porträt sehr klar und kommunikativ. Er, der sich gerne als Außenseiter sah, um tun zu können, was er wollte, ist milder geworden, aber nicht weniger ehrgeizig. Einer der Höhepunkte des Films ist die Szene, in der das Ehepaar Baselitz über Markterfolg debattiert. Er: "Du bist ausgesprochen erfolgsbetont. Ich viel weniger". Sie hält dagegen: "Erfolgsbetont? Du bist nicht an der Spitze, aber … ". Er fällt ihr ins Wort: "Doch ich bin der Dritte von der Spitze, es gibt einen Amerikaner vor mir und einen älteren Sachsen." Er meint damit Bruce Nauman und Gerhard Richter und verzieht sein Gesicht, als hätte er sich selbst beim Übertreiben erwischt. Sie: "Aber du bist doch ehrgeizig". Er: "Ich glaube, das muss man sein". Sie: "Eben, eben, also schiebe es nicht auf mich".

Georg Baselitz ist einer der bedeutendsten Künstler der Gegenwart, das lässt sich Schels von diversen wichtigen Galeristen von New York bis Salzburg bestätigen. Um sich für sein Werk zu begeistern, muss man einerseits kunsthistorische Stimmen hören, aber vor allem muss man ihm beim Malen zuschauen. Dort schafft es Schels, große Momente zu kreieren. Sie lässt ihm in ihren Bildern die Zeit, in der sich seine Idee offenbart.

Kinostart: Deutschland 11.04., Österreich 12.04.