Der Körper als Skulptur, Bildfläche und medialer Doppelgänger ist fraglos eines der beliebtesten Bildthemen der 60er- und 70er-Jahre. Feministische Künstlerinnen wie Valie Export oder Birgit Jürgenssen setzten den Körper zum Spiel mit Geschlechterklischees ein und begegneten der prüden, machistischen Nachkriegsgesellschaft mit Nacktheit und Humor.
Das Brüsseler Wiels zeigt nun erstmals eine Retrospektive der portugiesischen Ausnahmekünstlerin Helena Almeida in Belgien. Ihre Arbeiten reihen sich ein in die Körper- und Medienkunst der 60er und erzählen dennoch eine andere Geschichte.
1934 in Lissabon geboren, studierte Almeida zunächst Malerei. Sie misstraut jedoch den Beschränkungen der zweidimensionalen Leinwand und weitet die Bildfläche auf den Raum aus. Die Leinwand wird aufgerollt, abgetragen oder unter ihr der Keilrahmen als Fenster offengelegt. 1969 entsteht eine erste Fotografie, welche die Künstlerin beim Tragen einer Leinwand zeigt – von hier an ersetzt die Fotografie die Malerei, und Almeidas Körper wird zur Bildfläche. Dabei ist er Instrument und Notation zugleich.
Die Porträts Almeidas – meist aufgenommen von ihrem Mann Artur Rosa – zeigen die Künstlerin im ständigen Ringen mit Raum und Fläche. Übermalungen lassen sie zunehmend selbst verschwinden. In der Serie "Pintura habitada" ist Almeida Mitte der 70er-Jahre zu sehen, mit einem Pinsel in der Hand richtet sie sich gegen die Kamera. Blaue, nachträglich aufgetragene Farbe zeichnet eine Linie, die das (Selbst-)Porträt Almeidas immer mehr auslöscht.
Überhaupt Linien. Als Übermalungen, Zeichenlinien oder nachträglich in die Fotografien eingewobene Pferdehaare spannen sie Verknüpfungen und abstrakte Kompositionen.
Am drastischsten verdichten sich die Linien in ihren Zeichnungen. Sie sind von kopflosen Körpern bevölkert, die sich gegen die Gesetze von Raum und Zeit stemmen. Empörte Strichwesen proben Aufstände gegen die Schwerkraft und scheinen sich nicht mit den Begrenzungen des Körpers abfinden zu wollen.
Almeidas Körper wird immer mehr zum Zeugen der Zeit: Die letzten, 2013 entstandenen Fotografien und Videos der Ausstellung zeigen die Künstlerin in der noch immer gleichen analogen Schwarz-Weiß-Ästhetik. Sie dreht sich unaufhörlich um die eigene Achse oder rennt auf der Stelle. Die Adern auf der Hand und eine nachträglich auf einer Fotografie eingezeichnete rote Linie auf dem Fuß werden zur Signatur des Alterns, vor dem es kein Entkommen gibt.