Ausstellung in Paris

Der Mensch und sein schwieriges Verhältnis zum Haar

Warum ist Glatze unbeliebt? Warum Körperhaare bei Frauen? Und was haben Frisuren mit Macht zu tun? Unserer komplexen Beziehung zu Haaren widmet sich derzeit das Musée des Arts Décoratifs in Paris

Worauf sich Ludwig XIV, Silvio Berlusconi, Emmanuel Macron und Christian Lindner sofort einigen könnten, ist volles Haar – ein Leben lang. Bei wem es fehlt, da wird mit Perücke, Toupet oder Transplantation nachgeholfen. Bei wem es an der richtigen Stelle reichlich sprießt, der löst schon mal bei Presseterminen den oberen Hemdknopf, um es kurz vor der Wahl geschickt in Szene zu setzen.

Ein durchsetzungsstarker viriler Mann ist demnach ein behaarter Mann, und da kann sich keiner in diesen Kreisen eine Schwäche leisten. Aktuell amtierende Ausnahmen bestätigen die Regel. Woraus sich im Umkehrschluss ergibt, dass eine Frau so wenig Haar wie möglich am Körper tragen möge, um als weiblich und begehrenswert zu gelten. Außer am Kopf natürlich, da herrscht bei den Geschlechtern Gleichberechtigung. Symbolisiert doch volles Kopfhaar Gesundheit, Sinnlichkeit und Attraktivität.

Unserem komplexen Verhältnis zu Haaren widmet sich derzeit das Musée des Arts Décoratifs in Paris mit einer umfangreichen Ausstellung unter dem Titel "Des cheveux et des poils", die mit über 600 Exponaten die letzten 600 Jahre menschlicher Haargeschichte zeigt. Bedenkt man die jüngsten Enthüllungen um die monatlichen Friseurkosten Angela Merkels oder die Ernennung des Friseurstandes während der Corona-Pandemie zum systemrelevanten Beruf und nicht zuletzt die Proteste der Iranerinnen, die unverschleiert auf die Straße gehen, so kann die Relevanz dieses Themas nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Mittel sozialer Distinktion

Frisur diente schon immer als Mittel sozialer Distinktion, ungebändigtes Haar bedeutet Nachlässigkeit und mangelnde Hygiene. Wer alles sprießen lässt ist Aussteiger, Revolutionär oder hat zumindest die Kontrolle über sein Leben verloren. Und um Kontrolle geht es hier: "Will sie sich nicht bedecken, so schneide man ihr das Haar ab", liest man im ersten Raum der Ausstellung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Korinther. Er befindet sich genau gegenüber von Abbildungen der wohl gigantischsten Frisuren der Geschichte, die im Barock und Rokoko das Haar mit turmhohen und kiloschweren Frisuren feierte wie nie zuvor und nie wieder danach – ganze Blumenvasen und Schiffsmodelle fanden in den "Belle Poule" genannten Frisuren Platz.

Während sie bei den Frauen in die Höhe ragten, so reichten die Perücken bei den Männern bis zur Taille; diese Löwenmähne führte Ludwig XIV ein, nachdem er im jungen Alter kahl wurde. Diese Mode hielt sich – wen wundert’s – bis an sein Lebensende. Je mehr am Kopf zu Schau gestellt wurde, desto haarloser wurde das Gesicht gehalten.

Ein bedeutender Teil der Ausstellung widmet sich der Körperbehaarung. Ganze Schaukästen mit Operationsbesteck gleichenden Apparaten, die zur Rasur und Epilation dienten. Ein uraltes Unterfangen wie eine ausgestellte griechische Schale aus der Zeit um 500 v.Chr. bezeugt, auf der eine Epilation der weiblichen Scham dargestellt ist. Alle Venusabbildungen, die darauf folgten, waren schamhaarlos. Die Stelle des weiblichen Körpers, der neues Leben entspringt, sollte im christlich geprägten Abendland jungfräulich bleiben.

Der Mensch schämt sich für sein Tiersein

Weswegen es nicht verwundert, dass das von einem türkischen Diplomaten bei Gustave Courbet bestellte Bild mit den Titel "L’origine du monde" (1866) selbstverständlich für die Privaträume und nicht für die Augen eines öffentlichen Kunstpublikums gedacht war. Sogar Jacques Lacan, der 1955 das Bild erwarb, hielt es durch ein weiteres Bild in seiner Wohnung verdeckt. Diese Darstellung des vollbehaarten weiblichen Geschlechts erschien so unerhört, dass man die Scham, die psychoanalytisch dem Begehren am nächsten ist, verstecken musste. 

Scham ist, das macht die Ausstellung mehr als deutlich, der rote Faden im Umgang mit unserer Körperbehaarung. Der Mensch schämt sich für sein Tiersein, also rasiert und epiliert er sich. Er schämt sich für den Verlust seines Haars, also verdeckt er ihn mit fremdem. Er schämt sich für sein Ergrauen, also färbt er.

Die Menge an Haarteilen in der Ausstellung bezeugt diese Scham, und die Perücke von Andy Warhol fällt durch ihre Ironie hier besonders ins Auge: genauso wie Ludwig XIV verlor Warhol sein Haar in jungen Jahren und maskierte diese symbolische Frühvergreisung mit einer Perücke – allerdings war seine grau, was wiederum ein Alter simulierte, das er zu dem Zeitpunkt noch nicht erreicht hatte. Seine 400 grauen Perücken trug er bis an sein Lebensende.