Matthew Barney in München

Der Mythos lebt

Er mag Tanz. Film natürlich. Und Theater und Performance. Letztlich aber sei er objektfixiert, sagt er. Also doch Bildhauerei? Es fällt nicht ganz leicht, das Werk des amerikanischen Künstlers Matthew Barney einzuordnen – ihm selbst nicht und der Kritik noch weniger. Oder überhaupt nur einen Ort dafür zu finden. In München versucht man es jetzt in einem Zusammenspiel zwischen dem Haus der Kunst und der Bayerischen Staatsoper, wo Barneys neues Gesamtkunstwerk Premiere feiert.

"River of Fundament" heißt das Projekt, das Barney zusammen mit dem Komponisten Jonathan Bepler in den vergangenen sieben Jahren erarbeitete, und das selbst noch die Dimension seines "Cremaster"-Zyklus in den Schatten stellen könnte. Es besteht aus einem symphonisch-epischen Film, der Mitte Februar in der Brooklyn Academy of Music erstmals und jetzt in der Bayerischen Staatsoper als Europapremiere gezeigt wird, drei Performances, 14 großformatigen, zum Teil 25 Tonnen schweren Skulpturen, Zeichnungen, Fotografien und Storyboards. In dem fünfstündigen Film treten auf: die Schauspieler Paul Giamatti, Maggie Gyllenhaal, Ellen Burstyn und Elaine Stritch, außerdem eine Stepptanzgruppe, ein Porno­star, ein Schlangenmensch, zwei Baritone und ein Chor. Das "New York Times Style Magazine" nennt es ein "Zombie-Film-Musical".

"River of Fundament" wurde von Norman Mailers Roman "Frühe Nächte" inspiriert, der von einem Mann erzählt, der dreimal wiedergeboren wird. "Ich bin ein furchtbarer Leser", sagt Barney, "ich greife mir hier und da ein Stück heraus und vergesse den Rest." Er hat die Handlung vom alten Ägypten ins industrielle Amerika übertragen. Und während Mailers Roman den spirituellen Weg des Königs Menenhetet I nachzeichnet, ersetzt Barney die menschliche Seele durch ein Auto der Marke Chrysler und die Reinkarnation durch Recycling.

In der ersten Live-Performance, die 2008 in einem Autohaus in Los Angeles stattfand, ließ Barney einen 1967er-Chrysler Crown Imperial "sterben" – eine Baumfällmaschine riss die Karosserie in Stücke. Die zweite Performance spielte in Detroit, wo 25 Tonnen flüssiges Eisen über das Gestell des Chrysler gegossen und der Wagen als Pontiac Firebird Trans Am, Baujahr 1979, wiedergeboren wurde. In der dritten Performance schließlich wandert die Seele des Autos weiter nach New York.

Tod, Wiedergeburt, Transformation und Transzendenz – wieder einmal geht Barney existenziellen Fragen nach, spannt den Bogen vom Mythos des alten Ägypten zum Mythos der Autostadt Detroit, vom Zauberer Houdini und seinem Detroiter Brückensprung über Künstlerkollegen wie James Lee Byars und Richard Serra bis zu Norman Mailer, dessen New Yorker Apartment er nachbauen und auf einem Floß über den East River fahren ließ.

In dem Zeiten und Orte überbrückenden Spektakel spiegelt sich die Suche nach einer transhistorischen Essenz, in der Natur und Kultur, Mensch und Maschine, männliche und weibliche Sexualität auf einer höheren Ebene verschmelzen. Den Dingen wird Leben einhaucht, die Menschen gleichen Avataren oder Geistern.

In einer Szene, die in Mailers Apartment spielt, erscheint die Hauptfigur des Romans in Gestalt des Autors, als Gast auf seiner eigenen Totenwache. Um der spiritistischen Sitzung noch mehr Aura einzuhauchen, engagierte Barney für die Rolle des 2007 verstorbenen Norman Mailer dessen Sohn John Buffalo Mailer.

"River of Fundament" ist bildgewaltig, verstörend und hypnotisierend wie Barneys früheren Arbeiten. An den Skulpturen, die im Haus der Kunst ausgestellt werden, zeigt sich aber auch ein Wandel: Eisen, Bronze, Schwefel und Salz haben Thermoplastik und Vaseline ersetzt, statt in den Eso-Futurismus geht die Reise in die Unterwelt. Barney selbst erklärte im Interview mit dem „New York Times Style Magazine“, dass er einmal in einer Kiste aus einem unvergänglichem Material begraben werden möchte, mit Löchern darin. Man weiß ja nie. 

"Matthew Barney: River of Fundament", Filmpremiere an der Bayrischen Staatsoper, 16. März, Ausstellung im Haus der Kunst, München, 16. März bis 17. August