Ryan McGinley

Der Sommer steht kurz bevor

Ryan McGinleys Bilder werden oft der Mode- und Werbefotografie zugeordnet. Dabei erfüllen sie genau, was traditioneller Weise von Kunst erwartet wird: ein Gegenentwurf zu sein. 2003 tauchten die Fotografien des damals 25-Jährigen erstmals im etablierten Kunstkontext auf, in einer Einzelausstellung am New Yorker Whitney Museum. Darauf waren nackte junge Leute in körperlicher Interaktion zu sehen, doch dass sie Aufsehen erregten, lag nur vordergründig daran. Das eigentlich Unerhörte dieser Bilder war, dass sie eine so präzise Umkehrung des Ist-Zustandes beschrieben. Sie waren in ihrer entwaffnenden Unbekümmertheit die Antithese zum Lebensgefühl eines tief verunsicherten Landes, das gerade in den Krieg zog. Sie kamen aus einer Welt, in der Zynismus, Misstrauen, Depression und Gehemmtheit nicht existieren. Diese Bilder brachten zurück, was gerade für immer verlorengegangen war: einen Hedonismus, der frei von Schuld ist.

Ryan McGinleys Protagonisten repräsentieren die Generation der Gegenwart, zurückversetzt in ein ungebrochenes Stadium grundloser Freude. Es ist erstaunlich, wie rebellisch dieser Zustand wirkt. Viel rebellischer jedenfalls als die entkleideten Körper, die eher mit Lustigkeit zu tun haben als mit Lust. Sie verbergen nichts, und zeigen damit doch lediglich, dass hier kein Effizienzdenken existiert. Dass an nichts gearbeitet wird, noch nicht einmal an der Erfüllung erotischer Standards.

Der 1977 geborene New Yorker war Skateboarder, bevor er Fotograf wurde. Und so, wie McGinley arbeitet, steckt immer noch sehr viel vom einen im anderen. Es geht bei bei der Entstehung seiner Fotos, genau wie beim Skateboarding, darum, Stellen ausfindig zu machen, die Potenzial haben, anschließend folgt möglichst professionelle Erschließung. Und Flucht, wenn die Polizei kommt.

Gegen die Illusions-Maschine von Werbung und Mode

Wenn McGinley jeden Sommer mit einer Gruppe junger Menschen durchs Land fährt, um seine Bilder zu machen, steht immer ein Assistent mit Walkie-Talkie auf einem Beobachtungsposten. „Vermutlich ist nur wenigen Leuten, die meine Fotos sehen, klar, dass es oft illegal ist, was ich da mache“, sagt der Künstler. „Man darf nicht einfach in die Natur rausfahren und Aktaufnahmen machen.“

Es stimmt, es macht nicht so viel Spaß, über die Entstehung dieser Bilder informiert zu werden, wie sie sich selbst auszumalen.  Es stört regelrecht, an einen organisatorischen Apparat zu denken, wenn man sich in diese Welt begibt, in der alles so unmittelbar und echt zu sein scheint. McGinley ist von allen Fotografen derjenige, der seinen Motiven am nächsten kommt. Während Nan Goldin oder Wolfgang Tillmans in ihrem sozialen Umfeld das Fotografieren als selbstverständlich etablierten, so scheint bei McGinley in vielen Motiven das Fotografieren gar nicht stattzufinden. Es gibt nur die unmittelbare Beteiligung – ein unschätzbares Privileg, das da an den Betrachter weitergereicht wird.

So hat es fast schon die Ausmaße eines Brechtschen Verfremdungseffekts, wenn McGinley jetzt Dokumentationsaufnahmen veröffentlicht (hier auf Monopol-Online und demnächst in einem Buchprojekt), in denen er das Fotoequipment ins Bild rückt, und sogar sich selbst als Akteur. Dabei hat er aus seinen Fotoproduktionen nie ein Geheimnis gemacht, er spricht in Interviews über seine Strategien und führte sogar mal Tagebuch für eine Zeitschrift. Doch wenn er heute in seinen Bildern auftaucht, ist es etwas ganz anderes als in seinen Anfängen, in denen er noch sich und seine engsten Freunde fotografierte. Inzwischen riskiert Ryan McGinley die Entzauberung seines sorgfältig aufgebauten Mythos von Freiheit, Gleichheit, Nacktheit. Statt einer Welt der Zwanglosigkeit, die Perfektion und Schönheit ganz von selbst generiert, sehen wir plötzlich eine professionelle Situation, ein Team, bekommen die Ahnung von einer Zielsetzung.

Mit diesen Bildern entzieht sich McGinley der großen Illusions-Maschine von Werbung und Mode. Er bricht die Regeln der Verführung. Und das ist sehr radikal in dieser Ära, in der nur eins noch subversiver wäre: gar kein Foto zu machen.   

Ryan McGinley wird von der Team Gallery in New York und von Bischoff Projects in Frankfurt am Main vertreten. Die Galerie in Frankfurt zeigt bis 1. Juni neue Arbeiten