Okwui Enwezor über seine Berufung zum Leiter der Venedig-Biennale

"Die Biennale gehört nicht nur der Kunstwelt"

Herzlichen Glückwunsch, Herr Enwezor, eine große Aufgabe, die Sie da antreten! Wie wird man eigentlich künstlerischer Direktor in Venedig?
(lacht) Wenn ich ein Rezept hätte, würde ich viel Geld für Beraterverträge einstreichen. Aber selbst ich weiß nicht, wie die Entscheidung zustande kommt. Natürlich wurde ich angesprochen. Im Findungsprozess hatte ich lange und anregende Gespräche mit Paolo Baratta geführt, dem Biennale-Präsidenten. Ihn müssen Sie fragen, wenn Sie mehr wissen wollen. Anders als bei der Documenta, wo die Jury bekannt ist, läuft es in Venedig diskreter ab.

Erinnern Sie sich noch an die erste Venedig-Biennale, die Sie besucht haben?
Das war 1995, kuratiert wurde sie von Jean Clair. Eine Biennale mit einer besonderen Sicht auf den menschlichen Körper und die Figur. Damals waren die Biennalen noch viel kleiner. Man mag in der Rückschau denken: Wie sich die Welt der Gegenwartskunst doch verändert hat! Nicht nur ist die Biennale größer geworden, sondern auch umfassender. Die Kunstbiennale ist immer auch ein Labor, in dem darüber nachgedacht wird, wie sich die Welt in den letzten Jahrzehnten verändert hat.

Ihr Vorgänger Massimiliano Gioni öffnete die Biennale 2013 für sogenannte Outsider-Künstler. Eine gute Entscheidung?
Die Biennale war kuratorisch sehr durchdacht und hat sich von den Erwartungen freigemacht, dass sie der Zeit entsprechen müsse. Dazu haben auch die sogenannten Outsider-Künstler beigetragen. Die Ausstellung wirkte auf den ersten Blick wie eine Museumsschau. Aber nur wenige Museen können so einen dichten, weit gefassten und komplexen Mix aus Ausstellungen und Projekten einrichten. Diese Mischung macht die Venedig-Biennale aus, und deshalb lässt sie neben der Documenta das höchste Niveau an kuratorischen Experimenten zu.

Sie haben 2002 die Documenta 11 geleitet. Worin besteht der Unterschied zwischen der Weltkunstschau in Kassel und der Biennale in Venedig?
Die Documenta erlaubt andere Entfaltungsmöglichkeiten, da man mehr Vorbereitungszeit zur Verfügung hat. Aber beide unterscheiden sich nur graduell.

Bekommt man also eine Vorstellung davon, was Sie in Venedig vorhaben, wenn man sich noch einmal Ihre Documenta anschaut?
Kassel im Jahr 2002 unterscheidet sich natürlich von Venedig im Jahr 2015. Es ist ohnehin zu früh, um darüber zu sprechen. Venedig ist sehr forderndes Terrain. Man darf keine falschen Erwartungen schüren. Und diese Zurückhaltung ist Teil des Versprechens.

Welche Fehler gilt es zu verhindern?
Jede Biennale-Ausgabe ist anders. Interessant fand ich aber, wie sich bei den letzten Biennalen das Verhältnis von historischen und zeitgenössischen Positionen verschoben hat. Bice Curiger etwa hat vor zwei Jahren auf ihrer Biennale jahrhundertealte Gemälde von Tintoretto gezeigt und damit über die Zeitgenossenschaft von Kunst und ihrer Präsentation nachgedacht. Jede Biennale-Ausgabe ist eine neue Aufforderung, Fragen einmal frisch anzugehen und dabei konzis und hellsichtig zu sein.

Die fortschreitende Kommerzialisierung mag dies verhindern. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Galeristen Werke auf der Biennale verkaufen.
Was soll ich sagen? Ich verurteile Künstler nicht dafür, dass sie ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. Aber das hat nichts mit der Aufgabe der Venedig-Biennale zu tun. Die Biennale ist keine Verkaufsausstellung, sondern eine Einladung, für einen kleinen Eintrittspreis eine Unmenge an Ideen, Angeboten, Konzepten kennenzulernen. Wenn dann auch einige Galeristen Werke von der Biennale verkaufen – sei es drum. Ich habe jedenfalls noch keine Sammler gesehen, die vor dem Aserbaidschan-Pavillon anstehen. Das wird von der Kunstwelt auch aufgebauscht.

Beklagt wurde in den vergangenen Jahren zudem, dass die Kollateral-Events überhandnehmen. Wie ist Ihre Haltung dazu?
Diese Zunahme hängt mit der allgemeinen Ausweitung der Eventkultur zusammen. Kollateral-Events können erschöpfend sein, aber was dabei herauskommt, muss man den Besuchern überlassen. Ich sehe die Biennale einerseits als Ansammlung von Ideen und anderseits als Ansammlung von merkantilen Interessen. Trotzdem gelingt es der Biennale jedes Mal, Ausstellungen zu zeigen, über die wir noch lange debattieren. Und sie ist nicht nur für die kleine Kunstwelt da, sondern für ein breites Publikum.

Wird Ihre Arbeit als Biennale-Direktor Ihre Arbeit in München behindern?
Meine Arbeit im Haus der Kunst hat Vorrang vor allem anderen. Wir haben in den kommenden Jahren viel vor. Zu meiner privilegierten Position als Museumsdirektor gehören jedoch auch Atelier- und Ausstellungsbesuche, die auch für meine Aufgabe in Venedig wichtig sind. Aber sicher: Ich werde weniger Urlaub haben, weniger Wochenenden, weniger Freizeit. Am Ende wird die Aufgabe in Venedig aber auch meiner Arbeit in München zugutekommen.