Zum Tod des Fotokünstlers Lewis Baltz

Die Erotik der Unorte

"Dinge", sagte Lewis Baltz, "können schön sein auf Grund visueller Extra-Qualitäten, die lediglich des Auges bedürfen. Was ein Bild erotisieren kann ist eine andere Ebene von Intelligenz, und das ist dann erotisch. Sehen sie sich dagegen an, wie unsexy ein toll gebauter Pornostar aussehen kann."

Wie vor ihm Walker Evans in den 30er-Jahren, beschönigte Lewis Baltz nichts mit seiner Kamera. Er stellte vielmehr eine Beziehung her zwischen dem ästhetisch Vernachlässigten und den Ordnungsvorlieben des modernen Sehens.

Die Rückansicht der Xerox-Fabrik im kalifornischen Santa Ana zum Beispiel zeigte er in klaren Schwarzkontrasten als konstruktivistisches Tableaux: Die Feuerleiter zeichnete sich als zartes Liniengerüst über einem groben Wandanstrich ab, auf den mancher minimalistischer Farbfeldmaler stolz gewesen wäre. Im Vordergrund erweitern rechteckige Betonbausteine das Ensemble zu einer vollendeten Rauminstallation.

So wie Bernd und Hilla Becher Gasometer und Fördertürme zu "Anonymen Skultpuren" erhoben, machte es Lewis Baltz seit den 70er Jahren unmöglich, die Schönheit von Parkplätzen zu übersehen. Wie seine deutschen Mitstreiter in der New-Topographics-Bewegung beeinflusste Baltz dabei ganze Generationen von Künstlern, nicht nur in der Fotografie.

In wegweisenden Schwarzweiß-Serien schuf er ästhetische Leerstellen, in denen Baustellen (der "Tract Houses", 1969-1971) ebenso interessant wie zugebaute Wandöffnungen ("The New Industrial Parks near Irvine, California, 1974) sind. Und selbst dem Brachland ertrotzte seine Kamera etwas Imaginatives in aller Nüchternheit ("Nevada", 1978). Aber auch angesichts vermüllter Landschaften betätigte er sich mit archäologischer Präzision ("San Quentin Point", 1968). Und führte wiederun, in erlesenen Farbfotos, die sauberen Ordnungsutopien von Computer-Terminals vor Augen.

Aufgewachsen in einer architektonisch wenig spektakulären Gegend von New Port Beach im damals noch provinziellen Kalifornien, wusste Baltz nach eigenen Angaben schon mit zwölf Jahren, dass er Künstler werden wollte. In seinem letzten Interview, das er seinem Freund Jeff Rian gab, erinnerte er sich: "Die meisten Menschen, wissen nicht, was sie im Leben anstellen wollen, ich hatte dagegen eine absolut klare Idee: Ich wollte in der Fotografie arbeiten. Ich wollte kein Maler werden oder Bildhauer, auch nicht in der Werbung oder Mode arbeiten oder in der Kriegs- oder Dokumentarfotografie. Auch wollte ich an einem schönen Ort leben wo schöne Frauen rund um die Uhr ein- und ausgingen."

Bereits mit 20, um 1965, fand Baltz in seiner später "Prototypes" benannten Serie, zum lebenslangen Thema seiner Fotografie: unendlich reproduzierter Formen, hinter deren Einfachheit sich eine hochkomplexe Gesellschaft präsentierte. Und die er in glasklaren Aufnahmen zu einem geradezu erotischen Minimalismus führte.

Es war nicht ohne Ironie, dass der Mann, der wie kein Fotograf vor ihm amerikanische Parkplätze, Lagerhallen und Industriebrachen als ästhetische Systeme sichtbar machte, in zweien der schönsten Städte Europas heimisch wurde. Lewis Baltz pendelte in seinen letzten Lebensjahrzehnten zwischen Venedig, wo er am Instituto Universitario di Architettura lehrte, und seinem Wohnsitz in Paris. Dort starb er am 22. November nach langer Krankheit mit 69 Jahren.