Festival "Marx' Gespenster" in Berlin

Die Geister, die ich rief

Das Festival "Marx' Gespenster", das derzeit im HAU Berliner Hebbel am Ufer läuft, fragt zusammen mit Künstlern wie Phil Collins, Andros Zins-Browne und Keith Hennessy nach der Relevanz marxistischer Theorien für die Gegenwart. Wir verlosen Tickets

Als 1989 mit dem Fall der Mauer der real existierende Sozialismus und die Theorien von Karl Marx für beendet erklärt wurden, sprachen alle von Demokratie und sozialer Gleichheit. Heute, nach sieben Jahren Finanzkrise, in deren Folge Staatsschulden in verschiedenen Ländern und eine Bedrohung der Demokratie in Griechenland stehen, oder mit Blick auf die zunehmende Not der Flüchtlinge, deren Ausmaß durch den Eingriff politischer Kapitalmächte zunehmend unkontrollierbar geworden ist, scheint die Analyse und Kritik Karl Marx' erneut an Relevanz zu gewinnen. Das HAU Hebbel am Ufer in Berlin zeigt jetzt ein zweiwöchiges Festival, bei dem Künstler an diese Überlegungen anknüpfen. Wo Leistungsdruck, Erwartungshaltungen und Selbstausbeutung den Alltag von Kulturproduzenten bestimmen, versucht die darstellende Kunst hier, Denkanstöße zu geben, Gegenentwürfe zu entwickeln und Auswege anzubieten.

Für seine 35-minütige Filmmontage "marxism today (prologue)" arbeitete der englische Künstler und Turner-Preis-Nominierte Phil Collins mit Lehrerinnen marxistisch-lenistischer Theorie aus der ehemaligen DDR zusammen und fragt, was mit Wissensformen passiert, die nicht länger einem bestehenden politischen System zugeordnet werden können. Archivmaterial gibt Einblicke in Unterrichtsstunden aus der damaligen Zeit: "Ausbeutung gibt es in Westdeutschland nach wie vor", stellt ein Lehrer zur Diskussion. Die Meinungen der Klasse sind gespalten. "Aber wer hat nun recht?" Das Wissen um diese vergangene Zeit manifestiert sich auf unterschiedliche Weise im Leben der drei Frauen, die Collins interviewt und sie reagieren mit unterschiedlichen Graden an Anpassungsfähigkeit auf die politischen Veränderungen. Während eine von ihnen es heute immer noch verweigert, Bananen zu essen oder Coca Cola zu trinken, weil diese nach dem Fall der Mauer eine ideologische Funktion inne hatten, fiel der anderen der Übergang zum Kapitalismus leichter, obwohl sie Konsum und Profitmacherei kritisch gegenübersteht. Eine Dritte, die mittlerweile eine Dating-Agentur betreibt, trauert einem Staat hinterher, der ihre Tochter zu einer erfolgreichen Turnerin und Olympiateilnehmerin machte.

Collins ergänzende Arbeit "use! value! exchange!" zeigt Andrea Ferber, eine der drei Lehrerinnen aus "marxism today (prologue)" bei einer Unterrichtsstunde in marxistischer Ökonomie an der Hochschule für Wirtschaft und Technik in Berlin-Karlshorst, der Schule, an der sie damals gelehrt hat. Sie gibt einer neuen Generation von Studenten eine aus ihrem ehemaligen Seminarplan stammende Einleitung zu Karl Marx' "Das Kapital". Immer wieder werden Aufnahmen eingeblendet, die Collins 2010 von der aufgrund von U-Bahnbauarbeiten notwendigen Versetzung des Berliner Marx-Engels-Denkmals machte. Die kaum bekannte Umsetzung des Denkmals vom Marx-Engels-Forum an einen unweit gelegenen Ort lässt die Begründer des Sozialismus und Kommunismus für die Dauer der Arbeiten nicht mehr Richtung Fernsehturm blicken, sondern erstmals über die Spree Richtung Westen. Eine Entwicklung, die in Collins Film auf subtile Weise für eine langsam fortschreitende Auslöschung der Geschichte steht, die, gepaart mit Ferbers Darlegungen von Marx' Kapital und der diesbezüglichen Unwissenheit ihrer Studenten auf die anhaltende Aktualität von Marx' Analyse und Kritik eines bröckelnden Kapitalismus hinweist. 

In dem Stück "The Middle Ages" reflektiert der amerikanische Tänzer, Choreograf und Künstler Andros Zins-Browne darüber, inwiefern gegenwärtige Repräsentationen von anderen Zeiten in unserer aktuellen Zeit verankert sind und wie die Anwesenheit solcher Repräsentationen in uns ein Bewusstsein für Zeiten schafft, in denen wir selbst nicht gelebt haben. Während wir Entwicklungen mittels modernster technischer Mittel zu beschleunigen versuchen, schauen wir Fernsehserien wie Mad Men und wünschen uns in die verlangsamte Zeit der 60er- Jahre zurück. Zwischen diesem permanenten Streben nach Fortschritt und der Nostalgie vergangener Zeiten stellt sich Zins-Browne uns in einer durch und durch "mittigen" Zeit vor, in der wir weder das eine, noch das andere wollen und uns die Entscheidung, ob wir vorwärts oder rückwärts gehen sollen von der Gesellschaft abnehmen lassen. Durch den Einsatz von historischen Kostümen und gezielten Bewegungsabläufen entststehen in "The Middle Ages" mehrdeutige Orte und Zeiträume, in denen sich geschichtliche Bezüge überlagern und ineinander verschränken.
 

 

Die Performance "Turbulence (A Dance about the Economy)" des amerikanischen Choreografen und Queer-Aktivisten Keith Hennessy untersucht Wirtschaftstheorien und versteht sich als direkte, körperliche Antwort auf die ökonomische und ökologische Krise unserer Zeit. Aus einem kollektiven Produktionsprozess heraus verbindet Hennessy Tanz, Performance, Installation, Musik, Happening, Ritual und politischen Aktivismus. Die 15 Performer riskieren alles auf der Bühne, denn ihre Körper sind ihr Kapital. Mit ihnen wird experimentiert, spekuliert und riskiert. Es entstehen improvisierte Choreografien mit politischer Sprengkraft, die die festgefahrene Strukturen von Macht, Ausbeutung, Unterdrückung und Zerstörung unserer Welt ins Wanken bringen. Bis die "Turbulenzen" auf der Bühne dafür sorgen, dass das Stück in sich selbst zusammenbricht. Als sei es von vornherein dazu verurteilt, zu scheitern, so wie die Wirtschaft es tut.

 

Teilnehmende Künstler: Phil Collins, Sylvain Creuzevault, Bojan Djordjev, Nahawa Doumbia, Nathan Fain / Maria Rößler, Keith Hennessy, Fabian Hinrichs & Schorsch Kamerun, Srećko Horvat & Teresa Forcades i Vila, Patrick Wengenroth / Houseclub, Chris Kondek & Christiane Kühl, Max Linz, STAN & de KOE, Sarah Vanhee, Andros Zins-Browne u.a.

Monopol verlost zusammen mit dem HAU Hebbel am Ufer je 2x2 Tickets für die Vorstellungen von Keith Hennessy (17. November) und Andros Zins-Browne (22. November). Für die Teilnahme an der Verlosung bitte eine E-Mail mit dem gewünschten Stück im Betreff  (Keith Hennessy" oder "Andros Zins-Browne"), den Namen und die Postadresse, bis Montag, 16. November, um 17 Uhr an info(at)monopol-magazin.de schicken. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Die Gewinner werden per E-Mail benachrichtigt. Die Tickets können an der HAU-Tagesskasse im HAU2 oder an der jeweiligen Abendkasse abgeholt werden.