Kurator Áron Fenyvesi über Kunst in Ungarn

Die Gespenster der Vergangenheit

Herr, Fenyvesi, gleich zu Beginn Ihrer Ausstellung steht eine Arbeit der Künstlergruppe Little Warsaw: Eine Gedenktafel, auf der die Inschrift und die Gesichtszüge des Porträtierten unkenntlich gemacht wurden. Was ist da passiert? 
Es handelt sich um die Replik eines Monuments, das eine Straße in Budapest säumt. Die Idee meiner Ausstellung ist es, politische Kunst zu zeigen, die dem aktuellen Boom des Dokumentarischen etwas entgegensetzt. Konzeptuelle Arbeiten, die aber auch als Objekt funktionieren. Denkmäler schienen mir dafür naheliegend, da sich in ihnen Geschichte und Interpretationen der Geschichte ästhetisch manifestieren. Die Arbeit von Little Warsaw lebt von ihrer Spannung: Wir wissen, dass die Tafel an etwas gedenkt, aber nicht woran. Die Funktion eines Monuments an sich wird sichtbar.

Ein konzeptuelles Monument?
Ja, aber mit einer geisterhaften, unheimlichen Geschichte. Das Denkmal wurde ursprünglich errichtet, um den Sohn von Miklós Horty zu ehren, der im 2. Weltkrieg Pilot war, während sein Vater als Reichsverweser mit den Nazis paktierte. 1947 dann hat die kommunistische Führung einen Index mit unerwünschten Gedenkstätten erstellt – darunter auch diese. Statt das Denkmal komplett zu zerstören, hat man die Inschriften und das Porträt heraus gemeißelt. Ein schräger Akt politischer Manipulation, der recht typisch für Ungarn ist.

Haben Sie den Eindruck, dass man in Deutschland und speziell in Berlin bessere Vergangenheitsbewältigung betreibt?
Deutschland gilt uns in dieser Hinsicht als Vorbild.

In Bezug auf den Umgang mit dem Nationalsozialismus oder mit dem Kommunismus?
Ich denke beides. In Ungarn tun sich die Menschen schwer, an den Wunden der Geschichte zu rühren. In Deutschland scheint mir eine reifere, dauerhafte Form der Reflektion stattzufinden, die über das bloße Auslöschen der Vergangenheit hinausgeht.

Im Zentrum Berlins wurde das Parlament der DDR abgerissen, um Platz zu schaffen für einen Nachbau des preußischen Stadt-Schlosses.
Ich habe die Debatte verfolgt, aber ich hatte das Gefühl, dass dieser Vorgang eher eine Ausnahme ist.

Wie geht die aktuelle ungarische Regierung unter Victor Orban mit der Geschichte des Landes um?
Es gibt seit längerer Zeit die Tendenz, die Jahrzehnte des Kommunismus vergessen zu machen. Denkmäler werden abgebaut, der Platz vor dem Parlament soll jetzt in seiner angeblich ursprünglichen Form von 1944 rekonstruiert werden, was bedeutet, dass man auch hier unliebsame Denkmäler auslöscht. Auf der anderen Seite gibt es eine neue Form nationaler Heldenverehrung. In der Budapester Nationalgalerie fand zu der Zeit, als die von der Regierung Orban erarbeitete, neue Verfassung verabschiedet wurde, eine umstrittene Ausstellung mit dem Titel „Helden, Könige und Heilige“ statt – Gegenwartsmaler wurden beauftragt, Neu-Interpretationen berühmter Historienbilder zu fertigen. Eine ziemlich platte Propaganda.   

Einen vermeintlichen Propaganda-Film zeigt auch Tamás St. Turba in Ihrer Ausstellung.
Tamás ist einer der Begründer der ungarischen Konzeptkunst. Der Film in der Ausstellung stammt aus den 70er Jahren und wurde damals umgehend verboten, denn er imitiert die offizielle Bildsprache jener Zeit: Wir sehen Menschen in der Fabrik, glückliche Arbeiter und Bauern – nur dass Tamás als Tonspur philosophische Unterhaltungen oder Gedichte darüber gelegt hat. Die Diskrepanz zwischen der stupiden Arbeit und den hochtrabenden Worten ist sehr witzig – aber ich glaube nicht, dass der Scherz auf Kosten der Menschen geht. Auf mich wirkt der Film eher wie ein Plädoyer für die Emanzipation der sogenannten einfachen Leute. 

Haben Sie solche ältere Arbeiten bewusst unter die Zeitgenossen gemischt?
Anders als im Westen ist eine solche Mischung in Ungarn immer noch unüblich. Vermutlich hat es mit den Systemwechseln zu tun, dass ein jüngerer Künstler sich nicht vorstellen kann, irgendetwas gemein zu haben mit jemandem aus der Eltern-Generation. Ein anderer herausragender Künstler aus den 70er-jahren ist Imre Bukta. Er ist eigentlich Bauer und als Künstler Autodidakt. Und ihm gebührt das Verdienst, die einzigartige Kunstrichtung der agrikulturellen Konzeptkunst begründet zu haben. Seine Selbstporträts der Zeit sind sehr lustig und ironisch, mal hängt er kopfüber von einer Erntemaschine, mal stellt er Leinwände an den Heuhaufen – als Ausstellung für die Tiere auf der Farm. Die Frage, welches Publikum Konzeptkunst oder zeitgenössische Kunst generell anzieht, hat heute sicher nicht an Relevanz verloren.

„Haunting Monumentality“, Galeria Plan B, Berlin, bis 4. August