Neu im Kino: "Art War"

Die Kunst der Revolutionskinder

Der Film ist eigentlich ein Betriebsunfall. Regisseur Marco Wilms, 1966 in Ost-Berlin geboren, plante im Frühjahr 2011 ein Porträt des deutsch-ägyptischen Politologen Hamed Abdel-Samad. Die Dreharbeiten in Kairo bescherten ihm unerwartet einen Themenwechsel und einen neuen Titel: „ART WAR“. Während sich sein angriffslustiger Protagonist wegen eines T-Shirts mit der Aufschrift „God is busy. Can I help you?“ vor den wütenden Anhängern der Muslimbrüder in Sicherheit bringen musste, erlebte er mit seiner Kamera und irgendwann auch Gasmaske hautnah mit, wie die Lage auf den Straßen eskalierte. Wilms blieb länger als geplant und begleitete über zwei Jahre hinweg junge Künstler, die den Aufbruch im öffentlichen Raum auf ihre Art kommentierten.                        

Dazu gehörten Musiker vom Schlage der selbstbewusst um ihre Rechte kämpfenden Elektro-Punk-Sängerin Bosaina ebenso wie Sympathisanten der Femen-Aktivistin Allia Al-Mahdy, die auf ihrem Blog mit nackter Haut provozierte. Nicht zu vergessen die vielen Anhänger der pharaonischen Wandbotschaft wie etwa Ganzeer, dessen Street Art inzwischen ikonische Berühmtheit erlangt hat. Die zu expressiven Leinwänden umfunktionierten Straßensperren und Häuserfassaden animierten die Demonstrierenden nicht nur zu spontanen Debattierclubs. Im Laufe der Zeit stiegen sie zu einer Art interaktivem Revolutionstagebuch auf, das die konträren Parteien durch Übermalung unter Kontrolle zu bringen versuchten. Ein atemloser optischer Wettbewerb der Weltanschauungen, ein Parallelschlachtfeld, das die wechselnden Phasen von Glücksrausch der Anarchie über Enttäuschung nach dem Sieg Mursis bis zur kämpferischen Neuaufstellung seismographisch festhielt.

Wenn Wilms seinen Graffiti-Aktivisten bei der Arbeit zuschaut, hat das nichts von einem pittoresk morbiden Diktatur-Ausflug in eine weit entfernte Angstlustzone. Spätestens hinter den drastischen Märtyrer-Porträts vom Februar 2012, entstanden nach den Ausschreitungen in der Hafenstadt Port Said, stecken echte Leidensbiografien. Die Sehnsucht nach Selbstbestimmung und Meinungsfreiheit, die aus ihnen spricht, hat eine direktere Qualität als die überwiegend keimfreien und sich zum Verwechseln ähnelnden Nachrichtenbilder. Angesichts der neuesten Entwicklung am Nil ein trauriges Langzeitdokument der glorreich verpufften Kreativität.

„ART WAR“, ab 23. Januar im Kino. Termine zu Premieren in Saarbrücken, Köln, Berlin und Karlsruhe finden Sie hier