Roy Lichtenstein wäre 90 Jahre alt

Die Kunstwerdung der Micky Maus

New York (dpa) - Der Sohn soll es gewesen sein, der Roy Lichtenstein zum Durchbruch verhalf. «So gut kannst du sicher nicht malen, Papa, oder?», soll Lichtenstein Junior seinen Künstler-Vater gefragt und dabei auf ein Comic-Buch gezeigt haben. Lichtenstein Senior nahm die Herausforderung an und malte eine Comic-Szene: «Schau mal, Micky, ich habe etwas Großes gefangen», sagt ein angelnder Donald Duck auf einem Steg - und merkt nicht, dass der Haken hinter ihm an seiner eigenen Kleidung hängt. Micky Maus steht daneben und grinst.

   Das 1961 entstandene «Look Mickey» hängt heute in der National Gallery in Washington und Lichtenstein, der am Sonntag 90 Jahre alt geworden wäre, gilt längst als einer der bedeutendsten US-Künstler des 20. Jahrhunderts. Gerade erst wurden kurz nacheinander zwei neue Auktionsrekorde für die Werke des Pop-Art-Malers aufgestellt: Für fast 45 Millionen Dollar (knapp 35 Millionen Euro) versteigerte das Auktionshaus Sotheby's im Mai die 1964 entstandene schlafende Schönheit «Sleeping Girl». Wenige Tage später verkaufte das Auktionshaus Christie's das Werk «Woman With Flowered Hat» für 50 Millionen Dollar an den Londoner Juwelier Laurence Graff.

   Von solchen Dimensionen hätte der vielfach preisgekrönte Lichtenstein, der auch mehrmals an der Documenta in Kassel teilnahm, selbst wohl nie zu träumen gewagt. Zu Beginn seiner Karriere, die erst ins Rollen kam, als er schon auf die 40 zuging, hatte er noch ein Anti-Künstler sein wollen. Seit den 50ern hänge doch «alles überall», beschwerte sich der 1923 in New York geborene Lichtenstein der «New York Times» zufolge. «Es ist fast schon akzeptabel, eine tropfende Farbpalette aufzuhängen. Jeder hat sich daran gewöhnt. Das einzige, was alle hassen, ist kommerzielle Kunst.» Also wollte sich Lichtenstein, der selbsternannte Rebell, genau daran versuchen. Besonders berühmt wurden seine Comic-Bilder von blonden Frauen, die beispielsweise weinen oder telefonieren.

   Dabei blieben seine Vorbilder bis zum Schluss die großen Meister: Paul Klee, Henri Matisse, Paul Cézanne - und ganz besonders Pablo Picasso, den Lichtenstein tief verehrte. Ihre Werke nutzte er als Vorlage und verarbeitete sie auf seine ganz eigene Art und Weise im Comic-Stil: Gepunktete, gestreifte oder einfarbige Flächen, getrennt durch dicke schwarze Striche. «Alle denken immer nur an Cartoons, wenn sie Lichtenstein hören, aber er hat viel mehr gemacht», sagte seine Witwe Dorothy, die heute Präsidentin der Lichtenstein-Stiftung ist, einmal der Nachrichtenagentur dpa. «Er hat sich damit befasst, wie die Menschen die Dinge sehen und wie sie die Kunst sehen. Alles, was er gesehen hat, hat er zu Kunst gemacht.»

   Geboren wurde Roy Fox Lichtenstein als Kind eines Immobilienmaklers und einer Hausfrau in Manhattan. Er wuchs an der Upper West Side auf und begann schon bald zu malen und zu zeichnen. Später studierte er an verschiedenen Kunsthochschulen und unterrichtete danach auch, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Erst ab den 1960er Jahren konnte Lichtenstein, der mit seiner ersten Frau zwei Kinder hatte, vom Verkauf seiner Bilder leben. Zahlreiche Museen zeigten seine Werke, und auch heute gilt Lichtenstein, der Künstler wie Sigmar Polke beeinflusste, weiter als Publikumsmagnet. Großer Fan des Malers war auch der 2011 gestorbene Fotograf und Kunstsammler Gunther Sachs, der zahlreiche Werke besaß.

   Am 29. September 1997 starb Lichtenstein an den Folgen einer Lungenentzündung. Sein ganzes Leben lang galt der Maler als scheu, mit feinsinnigem selbstironischen Humor. «Ich habe keine großen Ängste», sagte er einmal in einem Interview. «Ich wünschte, es wäre so. Dann wäre ich viel interessanter.»