Neo und Hanno Rauch in Aschersleben

"Diese Ausstellung erreicht die Mitte meiner Seelenlandschaft"

Eine Ausstellung in Aschersleben stellt Arbeiten von Neo Rauch Zeichnungen und Holzschnitten seines früh verstorbenen Vaters gegenüber

Diese Ausstellung ist überraschend. Und das, obwohl Neo Rauch als ­Pionier der Neuen Leipziger Schule längst ein Weltstar ist und die Ästhetik seiner Tableaus allgemein vertraut. Die Besonderheit liegt auch weniger in Rauchs neuen Werken begründet, sondern in der Doppelpräsentation mit Bildern seines jung verstorbenen Vaters Hanno Rauch, der selbst ein angehender Künstler war und sich hier als große Begabung offenbart. Dem Besucher teilen sich nicht nur Unterschiede und Parallelen von Vater und Sohn mit, sondern auch die Tragweite einer Verlusterfahrung. Die Konfrontation mit dem überwältigend kraftvollen zeichnerischen Gestus seines Vaters habe ihn nachhaltig erschüttert, sagt Rauch im Gespräch.

Als vier Wochen alter Säugling ist Neo Rauch zum Vollwaisen geworden, das war bekannt. Weniger aber, dass sein Vater Hanno, der zusammen mit Neo Rauchs Mutter Helga 1960 mit nur 21 Jahren bei einem Zugunglück nahe Leipzig ums Leben kam, gerade an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig sein erstes Studienjahr absolviert hatte. 56 Jahre danach entschied sich Neo Rauch nun, 40 Werke aus dem Nachlass seines Vaters sowie eigene neue Zeichnungen und Bilder unter dem Titel "Vater und Sohn" in Aschersleben auszustellen; in einer Kleinstadt, knapp 100 Kilometer nordwestlich von Leipzig, wo Neo Rauch bei seinen Großeltern mütterlicherseits aufwuchs. Seine Heimat besucht er bis heute regelmäßig. Hier gründete er 2012 gemeinsam mit seinem Galeristen Gerd Harry Lybke, Kerstin Wahala und der Stadt Aschersleben die Grafikstiftung Neo Rauch, in der die Ausstellung läuft.

"Emotional geht es mich sehr an, mehr, als ich erwartet habe", sagt Neo Rauch über die Erfahrung, die er bei der Hängung der Bilder seines Vaters gemacht habe. So vertraut er mit den Zeichnungen auch sei, in dieser Form der Präsentation habe auch er sie zum ersten Mal gesehen. "Da entwickeln sie eine ganz spezielle, unerwartet starke Strahlkraft."

Der 22. Geburtstag seines Sohnes habe ihn auf die Idee gebracht, gerade jetzt diese Ausstellung zu machen: "Als der magische Moment sich vollzog und mein Sohn älter wurde als sein Großvater und ich diesen Sachverhalt in den geschärften Blick nahm. Diese anrührende Wahrnehmung dieses Kind-Vaters."

Ob ein mit Kreide gezeichnetes "Selbstbildnis" oder eine Industrielandschaft, die mit sicheren, flächigen Kohlestrichen die Düsternis und Schönheit einer Förderbrücke ins Schwarze trifft: Die Bilder des Vaters zeigen Entschiedenheit und Klarheit, verbunden mit emotionaler Wucht. Eine Qualität, die zwar auch im Übermut seiner Anfängerschaft begründet ist, aber eben nicht nur, wie der Sohn meint: Er sieht dort "Landschaften, die natürlich sehr dicht, sehr intensiv empfunden sind, kühne Setzungen, die man bei mir so nicht findet, weil ich ja in eine andere Richtung aufgebrochen bin". Mit Blick auf das Selbstporträt seines Vaters konstatiert Neo Rauch nüchtern, dass ihm ein solches Selbstbewusstsein nicht zu eigen sei. Er sagt das ohne Bedauern.

An einer Wand hängen fast ausschließlich Bildnisse der Mutter, die der Vater als starken Charakter und ausdrucksvolle, schöne Frau intensiv leuchtend porträtiert hat. Und die Frauen in seinem eigenen Werk? "Ich entwickele ja diese Frauenporträts nicht im Sinne von Porträts, sondern von Imagina­tionen. Das reizt mich natürlich sehr, aber ich versuche ja immer, mich einer gewissen Affektgebremstheit zu befleißigen. Ich lasse ja die Dinge nicht so nah an mich heran oder nicht so sehr aus mir heraus. Sagen wir es mal so: Ich versuche, einen stärkeren Filter vorzuschalten, und bin eigentlich eher bei Piero della Francesca als bei Tiepolo. Diese Affektgebremstheit des Personals ist mir mental einfach näher."

Trotz dieser humorvoll-distanzierten Selbstbeschreibung: Der Widerhall der Bilder in ihm ist spürbar. Ob er sich denn manchmal wünsche, ein anderer zu sein, mit anderem Rüstzeug auch für seine Existenz als Künstler? "Klar möchte ich gelegentlich aus meiner Haut heraus. Aber so jähe Wendungen gibt es in meinem Werk bislang nicht und sind wohl auch nicht zu erwarten. Fürchte ich oder hoffe ich. Ich weiß es nicht, was gut und was besser wäre, als sich tatsächlich zu erkennen gibt. Ich bin eigentlich über weite Strecken hinweg im Reinen mit meinem Schaffen, weil es mich auch als nährender Film umgibt. Weil es mich auch stützt in meiner Fragilität und in meiner Unkonzentriertheit, die mich ja von innen her kennzeichnet. Ich bin sehr fragil konstruiert und brauche von daher eine stabile Führung, eine Fassung. Ich darf nicht fassungslos werden."

Aber vielleicht ist etwas Ähnliches schon längst geschehen. "Übergang", "Die Wegzehr", "Geisteraustreibung", "Hüter der Nacht", "Züchter" sind Titel neuer Werke. Hält er es nicht für möglich, dass diese aufwühlende Ausstellung eine Art produktive künstlerische Krise in ihm auslösen könnte?

"Das kann gut passieren, ja", antwortet Neo Rauch. "Diese Ausstellung erreicht wirklich die Mitte meiner Seelenlandschaft und wird wahrscheinlich nicht ohne Folgen bleiben."