Marcello Malobertis Lustgarten

Echt süß

Kann ein Künstler, der seine Arbeit „Küsse süßer als Wein“ nennt, eigentlich noch alle Ferrero-Küsschen im Schrank haben? Marcello Maloberti nimmt man solchen Schmalz ab. Sind doch Kitsch und Trash für die Performances des 1966 geborenen Italieners unverzichtbar. Bei einem New Yorker Happening jonglierten die Teilnehmer mit Melonen und stöckelten in Paillettenkleidern durch Chelsea. Im Frühjahr ließ er in Frankfurt eine bunte, von einem Bodybuilder angeführte Truppe vor der Börse schwarze Porzellanpanther zertrümmern.

Die living sculpture, die er im vergangenen Sommer zum italienischen Pavillon auf der Venedig-Biennale beisteuerte, wirkte ähnlich schrill. Dass Maloberti seine erste permanente Installation nun nach der Schnulze benannte, mit der Jimmie Rodgers 1957 auf Platz drei der amerikanischen Charts landete, dürfte also nicht überraschen. Und öffentliche Interventionen sollen ja auch wach küssen.

„I baci più dolci del vino“, steht nun über einem alten Boccia-Feld in der Kleinstadt Trivero, eine Stunde nordwestlich von Mailand am Fuße der Piemonter Alpen gelegen. Für die fünfte Ausgabe des Kunstprojekts All’Aperto der Fondazione Zegna, der Kulturstiftung des berühmten Textilkonzerns, schuf Maloberti einen Garten. Er liegt auf dem Dach des klassizistisch angehauchten Zentrums, das Ermenegildo Zegna in den 30er-Jahren in der Hirtengemeinde baute, von der aus das heutige Modeimperium seinen Aufstieg nahm. Das titelgebende Motto aus Betonbuchstaben prangt auf 32 Meter Länge an einer Steinmauer. Maloberti hat die verwahrloste Ecke renoviert, 15 weiße Rosensorten und sechs Bäume gepflanzt, Rasen und Kieswege angelegt. Unter blau-weißen Sonnenschirmen können Einheimische und Gäste auf verschnörkelten Stahlsesseln sitzen. „Ein Garten der Lüste“ sei das 50er-Jahre-Idyll, freut sich der Künstler.

Die 2008 gegründete Reihe ist ein Beispiel für die kulturellen Grenzen des Konzepts „Kunst im öffentlichen Raum“. Auf dem norditalienischen Land gelten eben andere Gesetze, die Avantgarde muss in der Stadt bleiben. Jedes Jahr entsteht auf dem Grundstück der Stiftung mittels einer ästhetischen Basisdemokratie eine Kunst des äußersten Einverständnisses zwischen Produzent und Rezipienten. „Hier sollen keine Berühmtheiten Kunstwerke abwerfen, die die Bewohner als Leidtragende zurücklassen“, unterstreichen die Kuratoren Barbara Casavecchia und Andrea Zegna, der Kunstverantwortliche des Familienclans, das Konzept von All’Aperto.

Das Ortsspezifische sieht man den In-situ-Objekten an. Die Hundeskulpturen auf den Steinbänken, die Alberto Garutti 2009 aufstellen ließ, bilden lebende Vierbeiner vor Ort nach. Und die lustigen Strichgesichter, die Stefano Arienti vor zwei Jahren auf steinerne Findlinge setzte, stammen von Schülerzeichnungen. Nur Daniel Buren tat, was er immer tut. Die 135 grün- und blau-weiß gestreiften Flaggen, die er der Panoramaterrasse der Lanificio Zegna zum Auftakt aufsetzte, haben das steinerne Monument der italienischen Industrialisierung in ein Traumschiff verwandelt, das durch die Piemonter Alpen segelt.

Auch Maloberti musste monatelang Grundschüler, Gesangsverein und Alpenwehr zu einer harmlosen kleinen Eröffnungsperformance  überreden. Damit erschloss er Trivero einen Raum, den es hier so zuvor nicht gab. Einerseits ist er öffentlicher Garten, andererseits ziemlich versteckt. Wenn alles erst einmal zugewachsen ist, werden die sonst eher reservierten Triveroer womöglich unter der neonsilbernen Mondsichel Küsse austauschen, die süßer sind als der edle Wein, der auf den Hängen reift. Auf jeden Fall passt Malobertis Hybride aus Kunst und Flora hervorragend in die Kulisse, die direkt hinter dem Platz aufragt. Als Ermenegildo Zegna 1910 hier seine erste Wollmühle errichtete, ließ der ästhetisch sensible Philanthrop die kahlen Berge seiner Heimat mit einer halben Million Koniferen und ebenso vielen Rhododendronbüschen in ein artifizielles Naturparadies verwandeln. Oasi Zegna heißt das 100 Quadratkilometer große Traumland.

„I baci più dolci del vino“ („Kisses Sweeter Than Wine“) ist als Dauerinstallation der Fondazione Zegna eingerichtet.