Gregor Schneider über sein Projekt in Köln

Eine exklusive Verabredung

Herr Schneider, woher kommt das verstärkte Interesse der Theaterwelt an Ihrer Arbeit?

Ich bin auch überrascht, mit welchem Vertrauen die Theaterleute mit mir bestimmte Vorhaben realisieren und mir sogar zugefallene Türen in der Museumswelt wieder öffnen. Als Reaktion auf "CUBE Berlin", "STERBERAUM" und "IT´S ALL RHEYDT" haben Ausstellungskuratoren in Deutschland ihre Unterstützung aufgekündigt. Die Theaterintendanten, mit denen ich arbeite, kündigen Vorhaben an, ohne überhaupt zu wissen, ob diese umzusetzen sind. Ein Museumsdirektor tut dies selten. Dieser würde sich erst mal mit mir am Hauptbahnhof in Rheydt treffen und fragen, was ich so vorhabe, und ob ich die Finanzierung stemmen kann. Und dann würde er die Vorschläge erstmal prüfen! Und wenn ich die Finanzierung nicht stemmen könnte, würde er einen Maler oder Fotografen dazwischen schieben. Die Intendanten, mit denen ich zu tun habe, sind da gerade offensiver bei der Umsetzung,  auch was inhaltliche Ideen angeht.

Mit dem Kauf einer Eintrittskarte für "NEUERBURGSTRASSE 21" verpflichtet sich der Besucher, zu einem genauen Termin vor Ort zu sein. Möchten Sie in Köln, im Gegensatz zu anderen Projekten, eine Warteschlange vermeiden? 

Warteschlangen beschäftigen mich seit dem Beitrag "TOTES HAUS u r" für den Deutschen Pavillon 2001 auf der Biennale in Venedig. Dort warteten Besucher bis zu fünf Stunden, obwohl sie schneller zum "HAUS u r" nach Rheydt hätte reisen können.  Im "HAUS u r" habe und hatte ich immer Besuch, auch von Künstlerkollegen, aber es bildeten sich keine Besucherschlangen. Das größte Interesse hatte ich selbst an Menschen wie zum Beispiel dem Versicherungsvertreter oder dem Schornsteinfeger, die ins Haus kamen. Die Situation, das heißt, wie man einen Raum erlebt, verändert sich durch die Anzahl der Besucher.  In "NEUERBURGSTRASSE 21" für das Schauspiel Köln werden komplexe "gebaute Räume" geschaffen. Über einen bisher nicht genutzten Zugang betritt der Besucher die Räume. Für die Erfahrung der Wiederholung eines Raumes ist es wichtig, diese Erfahrung alleine für sich zu machen. Ansonsten würde der Besucher diese Erfahrung der Wiederholung nicht erleben können. Der jeweilige gebaute Raum gibt die Bedingungen vor.

Ein genauer Besuchszeitpunkt hat etwas von einer privaten Verabredung oder einem beruflichen Meeting. In jedem Fall fordert ihr Konzept eine verbindliche Geste ein.

Mit dem Kauf einer  Eintrittskarte gehen die Besucher der "NEUERBURGSTRASSE 21" eine exklusive Verabredung ein, nämlich zu einem nur für sie bestimmten Termin, alleine auf sich gestellt, den neuen Raum zu betreten. Bei den Zwillingshäusern "DIE FAMILIE SCHNEIDER", die ich 2004 in London realisierte, konnten die Besucher einzeln zuerst für zehn Minuten das Haus Walden Street No. 14 betreten und dann für zehn Minuten das Haus Walden Street No. 16. Beide Häuser waren innen mit transportabel gebauten Räumen identisch ausgebaut. In den Räumen vollzogen Zwillinge identische Handlungen. Dadurch machte der Besucher die vermeintliche Erfahrung, ein individuelles Erlebnis ein zweites Mal zu erleben. Mit mehreren Besuchern gleichzeitig wäre diese Erfahrung nicht möglich gewesen.

Sie geben jedem Besucher ein zeitliches Limit vor, fünf Minuten. Warum genau dieses Limit?

Das führt dazu, dass wir den nötigen Abstand zwischen den Besuchern haben und sich Besucher seltener begegnen. Auch ist in Köln die Gehrichtung vorgeben. Die Besucher werden nicht zurückgehen können. Die Türen fallen ins Schloss.

Ihre Arbeiten zeichnen sich dadurch aus, dass Sie mit Strategien der Macht operieren: Sie beschränken vorab bewusst den Informationsfluss, auch für die Medien, erzeugen dadurch eine Situation der Unsicherheit, setzen dem Besucher Bedingungen, lassen ihn auch mal lange warten, manipulieren seine Selbst-Wahrnehmung und so fort. Gibt es in Ihrem Kölner Projekt auch ein Moment, wo sich die Machtverhältnisse umkehren zu Gunsten des Besuchers? 

Die künstlerische Macht eines Künstlers ist doch eher begrenzt im Vergleich zu einem Nachrichtendienst, einer Zeitung oder der Institution Museum. Der Besucher bringt sich selber mit und macht seine eigenen Erfahrungen und wird mit sich selber konfrontiert. Aber darin sehe ich eher etwas Befreiendes. Natürlich arbeiten Künstler auch mit der Information über ihre Arbeiten. Aber gerade am Beispiel des "HAUS u r", wo durch die Einbauten sogar ich nicht mehr bestimmte Teile des Hauses rekonstruieren kann, bin ich der Arbeit genauso ausgeliefert wie jeder Besucher. In weiten Teilen stehe ich auf derselben Stufe wie der Besucher und liefere mich der Arbeit noch stärker aus. Im "HAUS u r" so wie jetzt in der "NEUERBURGSTRASSE 21" geht es mir um die Auflösung von Raum und um die Wiederholung eines Raums bis an die Grenzen unserer Wahrnehmung. Bis nur noch eine Ahnung von dem bleibt, was wir nicht mehr wissen können.


"NEUERBURGERSTRASSE 21" im Schauspiel Köln, 19. Juni bis 6. Juli und 23. August bis 7. September