Wiebke Siem über ihre Kaiserring-Auszeichnung

"Eine große Genugtuung"

Glückwunsch, Frau Siem, Sie erhalten den Goslarer Kaiserring 2014 und reihen sich damit ein in die Riege so berühmter Preisträger wie Gerhard Richter, Cindy Sherman oder Andreas Gursky. Was war Ihre erste Reaktion, als Sie von der Nachricht erfahren haben?
Ich habe geweint, ganz klassisch. Ich gehöre ja nicht zu den Künstlern, die im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Ich mache meine Arbeit mehr oder weniger im Stillen, und es gab immer nur einige wenige Kuratoren, die sich dafür interessiert haben: Zu kompliziert, zu düster und nicht im Trend, hieß es für die meisten wahrscheinlich. Es ist für mich jetzt eine große Ehre und auch Genugtuung, mit dem Kaiserring geehrt zu werden und in die Reihe dieser wunderbaren Künstler eingereiht zu werden, von denen viele meine Vorbilder waren oder sind.

Die Frauen unter den Preisträgern waren bisher eher in der Minderheit. Freuen Sie sich, dass mit Ihrer Würdigung ein kleiner Ausgleich geschaffen wird?
Auf jeden Fall ist das ein Schritt in die richtige Richtung. Es gibt großartige Künstlerinnen, die die nächsten Preisträgerinnen sein sollten, bevor es zu spät ist. Die große Elaine Sturtevant, Phyllida Barlow, Isa Genzken. Warum hat etwa Louise Bourgeois den Preis nie erhalten? Eine Kunstwelt, die die Arbeit von Künstlerinnen nicht wahrnimmt, beraubt sich eines bedeutenden Teils der Weltsicht.

Welche Unterschiede sehen Sie zwischen Künstlern und Künstlerinnen?
Ich finde, dass Künstlerinnen oftmals riskanter und frischer arbeiten als ihre männlichen Kollegen, weil sie weniger zu verlieren haben. Ich meine das nicht nur in Bezug auf ihre wirtschaftliche Situation.

Sie haben immer wieder betont, dass Sie sich an der männlich dominierten Moderne abarbeiten. Mit subtilen Irritationen und dem Mittel der Ironie nähern Sie sich dem immer noch angespannten Verhältnis der Geschlechter. Dennoch würden Sie sich jetzt nicht als explizit feministische Künstlerin bezeichnen ...
Ich habe so gut wie nie an einem feministischen Diskurs, an feministischen Ausstellungsprojekten oder Podiumsdiskussionen teilgenommen. Ich werde nicht als feministische Künstlerin gesehen. Ich bin mir aber bei jeder einzelnen Arbeit, die ich mache, dessen bewusst, dass ich eine Künstlerin bin und kein Künstler. Der Umgang mit der Kunst der Moderne und den davor liegenden Epochen ist fast ausschließlich aus einer männlichen Sicht auf die Welt entstanden. Als Künstlerin kann ich nicht anders, als das zu reflektieren, ob ich will oder nicht. 

In Ihren Textilarbeiten setzen Sie sich mit Mode, Tragbarkeit und Körperlichkeit auseinander. Wie kam es dazu?
Mein Einbeziehen von Mode und Tragbarkeit ist zunächst eine ironische Antwort auf Arbeiten des Hamburger Hochschullehrers Franz Erhard Walther gewesen auf seine „Objekte zum Benutzen“, die mich als Studentin enorm beeindruckt haben. Stanley Brouwn, bei dem ich studierte, hatte eine große Designsammlung und ein großes Interesse für Mode. Er brachte mir Magazine wie „The Face“ oder „I-D“ mit, die in den 80er-Jahren gerade aufkamen. Das war für mich ein Auslöser und eine Ermutigung, meine Arbeit in diese Richtung zu öffnen. Und außerdem, wer in der Kunstwelt, damals wie heute, interessiert sich nicht für Mode und Design? Gerade Künstler sind oftmals der Mode geradezu verfallen. Was ich von mir selber allerdings nicht sagen kann.