"Huren"-Vergleich

Eine Museumsdirektorin als Savonarolas Erbin?

Die Museumsdirektorin Cecilie Hollberg hat ihre Wahlheimat Florenz mit einer "Hure" verglichen, die sich an Touristen verkauft, und damit einen Skandal ausgelöst. Ihre Wortwahl erinnert an den Bußprediger Savonarola, weist aber in eine andere Richtung

Museen haben nicht nur den Auftrag, ihre Exponate zu pflegen, sondern auch den Geist der Stadt. Als Welterbekammern (Louvre), Zeitgeistometer (MoMA), architektonische Juwelen (Guggenheim-Museum in Bilbao) oder Debattenforen (Hygienemuseum in Dresden) sind sie so etwas wie der diskursive Arm der Kunst. Von dieser Funktion hat Cecilie Hollberg, Direktorin der Galleria dell’Accademia in Florenz, Gebrauch gemacht, als sie in einem Interview den Zustand ihrer Stadt beklagte: Florenz, das von Touristen überlaufen wird, unter der Last der Souvenirshops ächzt und für Einheimische kaum noch zu bezahlen ist, betreibe einen Ausverkauf seiner schönen Stellen, letztlich seiner Seele. Hollberg warnt: "Wenn eine Stadt erst einmal zur Hure geworden ist, ist es für sie schwierig, wieder Jungfrau zu werden. Wenn jetzt nicht die absolute Bremse gezogen wird, gibt es keine Hoffnung mehr."

Die drastische Wortwahl sorgte naturgemäß für Empörung: In Italien über die "Beleidigung" der heimlichen Kulturhauptstadt des Landes durch eine Deutsche. Und in Deutschland über den Sexismus. Interessant ist jedoch, dass Hollberg, die als Historikerin wissen dürfte, was sie sagt und woran sie anschließt, ein Sprachbild verwendet, mit dem vor 500 Jahren Girolamo Savonarola die Unzucht der Renaissance-Metropole anprangerte. Der Dominikanermönch beklagte in seinen Predigten den Verfall der Sitten in Rom und Florenz: Kirche, Stadtherren und Gesellschaft geben sich nur noch dem Genuss hin, veranstalten Spektakel und ähneln einer Versammlung von "Huren", die den Glauben verraten. Dagegen helfe nur eine radikale Umkehr durch Entsagung, Ernst und Strenge, die Zügelung der Lust und die Rückkehr zu einem arbeitsamen Leben in Demut vor dem Herrn.

Savonarolas Predigten stießen in ein Machtvakuum nach dem Sturz der Medici, die Florenz jahrzehntelang beherrscht hatten, Kunst und Handel förderten und es mit dem Glauben nicht immer so genau nahmen. Nun, so Savonarolas Erzählung, die immer mehr Anhänger fand, bekomme man die Rechnung in Gestalt einer Erosion der florentinischen, ja, der italienischen Stellung in der Welt. Die Pest wütete, Ernten fielen aufgrund einer kleinen Eiszeit aus und der französische König Karl VIII. streckte seine Hand nach Italien aus. Doch Rettung naht: Ein "Schwert des Herrn" werde die Misere beenden. "Und du, Volk von Florenz, wirst die Erneuerung in ganz Italien einleiten und allen Völkern die Erneuerung bringen."

Bürgerliche Führer

Savonarola gelang es, die Macht in Florenz zu übernehmen und einen Feldzug gegen den Sittenverfall anzuführen. Er schickte eine "Kinderpolizei" von Haus zu Haus, ließ heidnische Schriften, pornografische Bilder, Schmuck, Spiegel und kostbare Kleidungsstücke beschlagnahmen und auf der Piazza della Signoria im "Fegefeuer der Eitelkeiten" verbrennen. Sandro Botticelli soll seine Bilder selbst auf den Scheiterhaufen geworfen haben.

Nun wirkt Hollberg nicht gerade wie eine Wiedergängerin Savonarolas. Beide beschwören in ihren Bußpredigten zwar dasselbe Bild, die Hure, kritisieren jedoch unterschiedliche Dinge: Für Savonarola ist die römisch-florentinische Hure durch exzessiven Genuss vom Glauben abgefallen. Hollberg beklagt dagegen die Unmöglichkeit des Genusses inmitten des touristischen Ansturms, die Ohnmacht der geliebten Stadt. Und während Savonarola das Schöne und Angenehme beschlagnahmen und vernichten lässt, will Hollberg es wiederherstellen.

Dieser Unterschied im Hurendiskurs hat wohl etwas mit der jeweiligen historischen Konstellation zu tun: Savonarola war, wie Max Horkheimer in seinem Aufsatz über "Egoismus und Freiheitsbewegung" (1936) schreibt, ein früher "bürgerlicher Führer", seine Gegnerin die vergnügungssüchtige Spitze einer spätfeudalen Klasse, getragen von Adel und Klerus. Obwohl er also den reinen Glauben predigte, diente er in einer listigen Wendung der Klassengeschichte dem Kapital, das Fleiß, Sparsamkeit und Disziplin verlangte, um sich in Gewaltakten gegen seine Handlanger bilden zu können. Spätere Bürgerführer wie Calvin oder Robespierre seien, so Horkheimer, hier bereits vorweggenommen in ihrer Freudlosigkeit und Härte.

Am Ende des bürgerlichen Zeitalters

Hollberg hat geschichtlich eine ganz andere Position. Sie formuliert ihre Kritik der florentinischen Hure am Ende des bürgerlichen Zeitalters, dessen Exzesse sie anprangert: den "Overtourism" jener Bürger, als deren Prediger Savonarola auftrat. Diese sind weltweit zur Macht gelangt und kehren nun lärmend an den Ort ihrer Entsendung zurück, wo sie den Florentinern das Leben schwer machen.

Hollberg geht es nicht um Tugenden des Zusammenreißens, um Härte und Disziplin, sondern um das gute, das angenehme Leben in einer "schönen" Stadt, also eine gewisse Art von Lockerung. Diese Haltung wirkt regelrecht anti-savonarolanisch und postbürgerlich.

Vielleicht ist es aber auch ein wenig komplizierter und Hollberg ergreift Partei in einem innerbürgerlichen Konflikt – für den Citoyen und gegen den Bourgeois, zielt also auf eine reifere Form des Bürgerlichen, die an Horkheimer erinnert. Oder aber, und damit wird es dialektisch, in einer erneuten Volte meldet sich auch hier der Bourgeois listig zurück, der entgegen Hollbergs Absichten dem Kapital zuarbeitet: Einige Ökonomen gehen davon aus, dass die wirtschaftliche Entwicklung künftig vom Wohlbefinden der Produzenten abhängt. Wenn Technologie uns fast alle Handlangertätigkeiten abnimmt, für die Savonarola noch Disziplin einfordern musste, dann werden Kreativität und Sozialkompetenz zu den wichtigsten Produktionsfaktoren. Und da hierfür Gesundheit und eine angenehme Atmosphäre förderlich sind, ist eine schöne, zufriedene, ruhige Stadt auch eine produktive Stadt.

So gesehen, wäre Hollberg, die von der politischen Klasse gescholten wird, von den Florentinern jedoch Zuspruch erhält, sehr wohl eine bürgerliche Führerin, also Savonarolas verwandelte Erbin.