Transmediale-Leiter Gansing im Interview

Eine postdigitale Zeit imaginieren

Kristoffer Gansing, sind Sie von den Enthüllungen Edward Snowdens eiskalt erwischt worden?
Ich war nicht überrascht davon, dass es Überwachung gibt, aber das Ausmaß hat mich sehr wohl erstaunt. Ich persönlich verzichte weitgehend auf soziale Medien, weil mir schon immer klar war, dass verschiedene Firmen Daten weitervermitteln und -verkaufen. Wer in der Medienkultur kritisch unterwegs ist, besitzt eine natürliche Skepsis gegenüber irgendwelchen Readymade-Apparaturen, die easy aussehen, aber vielleicht auch Fallen sind. Das kommt in der Metapher vom Afterglow ja auch zur Sprache, da schwingt digitale Wellness mit, mischen sich Bilder vom NSA und totaler Überwachung ein.

Lag es für Sie nicht nahe, sich bei ihrem Programm ganz auf die Späh-Affäre zu konzentrieren?
Ein reines  Datenschutzfestival wollen wir nicht machen machen. Bei uns kommt immer die politische mit der künstlerischen Perspektive zusammen. Afterglow imaginiert eine postdigitale Zeit. Da soll es nicht nur um Datendiskussionen gehen, sondern durchaus auch um den physischen Abfall des Digitalen. Das Virtuelle und das Materielle sind ja nicht voneinander zu trennen. Für die gigantischen Cloud-Architekturen werden große Datencenter gebaut. Künstler wie Johannes P Osterhoff und Sebastian Schmieg arbeiten mit ausgemusterten Festplatten, die ihnen Konzerne wie Google zur Verfügung gestellt haben.

Afterglow ist ein ambivalenter Begriff …
Eigentlich ist es der Moment der Dämmerung, in dem der Staub in der Atmosphäre zu verglühen scheint. Ein sehr schönes Bild. Das heißt: Das Digitale fasziniert uns noch, HD-Ästhetik lässt uns noch staunen, aber der Hype ist eher schon vorbei. Wir fangen an, über die Konsequenzen des Rausches nachzudenken.

Einer, der laut nachdenkt – oder eher jammert? – ist Sascha Lobo. Der fehlt auf der Gästeliste.
Mir hat eine Replik auf seinen "FAZ"-Artikel im "Tagesspiegel" gefallen. Markus Hesselmann schrieb, dass der Satz von Angela Merkel, „Das Internet ist für uns alle Neuland“, von Lobo überraschend bestätigt wurde – und er nun selber zu den digital naives zähle.

Welche Experten haben Sie denn zu bieten?
In der  Konferenz „Hashes to Ashes“ wollen die Dokumentarfilmerin Laura Poitras, der Künstler Trevor Paglen und der Internetaktivist Jacob Appelbaum neue Aspekte der NSA-Affäre beleuchten. Das wird hochinteressant, vor allem auch deshalb, weil hier meines Wissens diese Leute erstmals gemeinsam reflektieren, welche Rolle künstlerische Aktivitäten auf dem Feld des Aktivismus spielen. Auf dem Whistleblower-Panel „Circumventing the Panopticon“ am letzten Festivaltag haben wir aber auch Leute dabei, die sonst nie auf Medienkunstfestivals auftreten. Der ehemalige NSA-Mitarbeiter William Binney sitzt auf dem Podium, Jeremy Scahill und die Ex-Mi-5-Frau Annie Machon.

Was hat sich in ihren Jahren als Festivalchef eigentlich geändert?
Es sind inzwischen Künstler dabei, die nicht mehr zur klassischen Medienkunst gehören. Ich will sie einmal postdigitale Künstler nennen. Bei ihnen mischt sich Faszination mit Ekel an der Technologie. Man sieht das deutlich an ihrer Ästhetik.

Die werden wir dann auf der zentralen Ausstellung „Art Hack Day“ erleben. Was ist das?
Über 70 Hacker und Künstler sind eingeladen, um innerhalb 48 Stunden „from scratch“ eine Ausstellung aufzubauen. Auf diese Weise können wir etwas tun, was uns eigentlich aus budgetären und organisatorischen Gründen verwehrt ist – neue, sozusagen komissionierte Werke zu produzieren. Es ist ein Experiment. Dort gibt es nicht nur Hacker und Künstler – wir versuchen auch, das Ausstellungsformat zu hacken.

Die Transmediale findet vom 29. Januar bis 2. Februar im Berliner Haus der Kulturen der Welt statt.

In der Februar-Ausgabe von Monopol, die am Donnerstag erscheint, finden Sie ein Dossier mit Künstlern, für die NSA & Co. ein Thema sind - und die Frage: Sind Snowden und andere Netzaktivisten die neue Avantgarde?