In einer fiebrigen Malattacke erschuf René Magritte 1948 die ab surden Bildwelten seiner „Période vache“. Die Schirn Kunsthalle Frankfurt inszenierte die Schmuddelphase des Malers klein und fein

Dies ist keine Nase, oh nein. Der jägergrünen Witzfigur steckt stattdessen ein Gewehrlauf im Gesicht, der das ausgesprochen nachlässig gemalte Bild wie eine Horizontlinie teilt. Dahinter erstreckt sich ein weiß-blaues Irgendwas, das kaum als Landschaft durchgeht. Die Figur, vom eigenen Riechkolben an den Bildrand geschoben und wie zum Selbsttrost die eigene Hand tätschelnd, ist nicht viel mehr als ein Waschbrett mit Jacke. Allein der Hut – aus dem uns prüfend ein Zyklopenauge anstarrt – erinnert entfernt an jene korrekt beschlipsten Anzugträger, die sonst die absurden Bildwelten von René Magritte bevölkern. Magritte? Genau der. 1948 geschah es, dass dem sonst so peniblen Schöpfer surrealer Emblematik der Stehkragen platzte und ihm buchstäblich der Pinsel ausrutschte. Schon ab 1943 hatte die Neuorientierung des Belgiers hin zu einer lichten, „impressionistischen“ Gestaltung dazu geführt, dass die Surrealisten um André Breton auf Distanz gingen.
 

Anlässlich seiner ersten Pariser Einzelausstellung in der zweitrangigen Galerie du Faubourg ließ Magritte seiner Wut freien Lauf. Und er, ein Ahne späterer Konzeptkunst, der von sich selbst behauptete, „kein Maler“ zu sein, wurde von fiebrigen Malattacken geschüttelt, rotzte in wenigen Wochen gut 30 Werke hin, deren gezielte „vacherie“ (Gemeinheit) im Überbegriff „Période vache“ anklingt. Die Kuh lacht – über den Riesenwitz klassische Moderne. Farben wiehern. Häschen trommeln. Gummienten kotzen Ströme von Lila und Blau. Ein grellbunt angestrichenes Aktmodell hält sich den Bauch vor Lachen. Amüsiert sich die Dame über die derben Sprachwitze, die hier überall lauern?
 

Magritte selbst rechnete mit nichts als einem Flop, den er prompt kassierte. Die Kuhphase ist ein Fremdkörper in seinem Werk geblieben – und zunehmend zum Faszinosum geworden, seit Kasper König 1981 mit einer „Vache“-Auswahl in der Kölner „Westkunst“-Schau überraschte. Erstmals außerhalb Belgiens und Frankreichs hat nun die Frankfurter Schirn eine nahezu vollständige Präsentation gewuchtet. Sie überzeugt als Annäherungsversuch an die bloß rudimentär dokumentierte Ausstellung in Paris. Der intime Rahmen steigert die ausgelassene Aggressivität der Bilder. So wird der schräg in die Halle gestellte Ausstellungskubus mit taubenblau gestrichenen Wänden zum diskreten Bordell der Antikunst.

Im Doppelkabinett sind die insgesamt zwölf Ölgemälde von den Gouachen, Zeichnungen und Dokumenten geschieden, sodass ein luftiger mit einem spannungsdichten Raum kontrastiert. Hier, unter den vielen Papierarbeiten des Zyklus, finden sich nicht nur Verballhornungen diverser avantgardistischer Strömungen – die Magritte nach dem Krieg als erstarrt ansah. Selbst die ureigenen Markenzeichen zieht der Meister durch den Kakao, so stopft er Tabakspfeifen in praktisch sämtliche Körperöffnungen von Bildprotagonisten. Dank lückenhafter Hängung im „Gemäldeséparée“ betonen die Ausstellungsmacher die mutwillige stilistische Inkohärenz der Période vache. So gähnt zwischen einem Frauen- und einem Männerbildnis viel leere Wand: „Lola de Valence“, mit gebärfreudigem Becken, breiten Schultern und blindem Blick das weibliche Naziideal parodierend, scheint im flächig lachsrosa Malstil andererseits von Henri Matisse entlehnt.

 

Demgegenüber sperrt Magritte seinen „Psychologen“ in einen stählernen Trompe-L’OEil-Rahmen, steckt ihm eine Rose in die Faust und lässt den Tropf missmutig seine absonderlich expressive, plastisch gemalte Muskulatur betrachten. Magrittes Verachtung für die École de Paris und andere Malschulen manifestiert sich im Gemälde „L’Étape“: Während eine Frau am Steuer eines Autos wartet, uriniert der dazugehörige Mann gegen einen feuerroten Baum, gemalt im Stil der Fauvisten, der französischen Wilden, die Magritte als ebenso gestrig einschätzte wie den Surrealismus bretonscher Prägung. Vor einem abstrakten Hintergrund (inspiriert von Magrittes Hauspantoffelmus ter!) ragt ein kariöses Gebäude auf. Aus der Bausubstanz bröckelt der Schriftzug „Ecole“ heraus. Mit plumper Raffinesse betreibt Magritte hier Bad Painting avant la lettre, verblüfft mit einer Vorwegnahme dessen, was Philip Guston oder Martin Kippenberger erst Jahrzehnte später zu formulieren wagen. Einzig Francis Picabia trieb es früher als Magritte ähnlich „schlimm“ und ausdauernder.
 

Magrittes Schmuddelphase konnte auch deshalb keine Schule machen, weil der Künstler bald zur bewährten Malweise zurück - kehrte. Mit seinen profan gemalten Äpfeln, Pfeifen, Tauben und Vorhängen – gefeiert in der MoMA-Retrospektive 1965 – konnte er sich noch kurz vor seinem Tod 1967 in die Annalen der Kunstgeschichte einschreiben. Seine Flintennasen und bunt ausgemalten Pinkelpausen zählten ein halbes Jahrhundert lang nicht dazu. Das hat sich geändert, aus gutem Grund, wie in Frankfurt zu erleben war.
 

„René Magritte 1948. La Période vache“, Schirn Kunsthalle Frankfurt,

30. Oktober 2008 bis 4. Januar 2009. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog bei Ludion.
176 Seiten. Circa 35 Euro