Erdkunde mit Klaus Biesenbach

New York City und die Toskana haben erst einmal nicht so viel gemein. Allerdings: Wenn New York heute als eine der Kunstmetropolen in der Welt gilt, so war unter den Medici bis ins 16. Jahrhundert die Toskana der Nabel der Kunstwelt. Nähert man sich der kleinen, knapp 8000 Einwohner zählenden Stadt San Gimignano mit dem Auto, hat man fast den Eindruck, dass man von Weitem auf Manhattan zufährt. Gegen den Horizont heben sich hohe, fensterlose Türme wie Wolkenkratzer in den Himmel. Bis zum 14. Jahrhundert haben sich hier die reichen Familien mit möglichst hohen Gebäuden ein Denkmal gesetzt. In den dichtesten Zeiten waren es 72 Türme. Heute sind es noch 15. Wenn man auf den höchsten öffentlich zugänglichen klettert, sieht man sogar die lokalen „Twin Towers“. Unser Führer erzählt, dass sie die ursprüngliche Inspiration für das New Yorker World Trade Center waren. Auch wenn das erfunden oder übertrieben ist, so bietet sich zumindest ein interessanter Zeitsprung zu den steilen Türmen, deren Zerstörung den Eingang ins 21. Jahrhundert markiert.

In der Nähe eines der großzügigst ausgeführten Türme ist die Galleria Continua untergebracht. Die originelle Galerie hat mittlerweile Dependancen in Peking und Paris, hier im Stammhaus in einem ehemaligen Kino zeigen sie Kunststars wie Ilya und Emilia Kabakov, Mona Hatoum und den jungen, aus Argentinien stammenden Leandro Erlich.

Es ist eine Stunde Autofahrt bis nach Florenz, in die Stadt, die historisch die Toskana beherrschte. Die Uffi zien sind schon morgens um acht Uhr zum als „Privatführung“ angekündigten Rundgang voll mit japanischen Schulklassen. Die Paradigmenwechsel, die hier deutlich werden, rechtfertigen aber jedwede Wartezeit und den Gruppentrubel. Wir versuchen, schneller als die anderen Gruppen zu sein, und tatsächlich: Der Raum mit Botticellis „Venus“ ist noch leer. Das runde Turnierschild mit Caravaggios Medusenhaupt lässt uns nicht los. Aber die Tour geht weiter in die Accademia.

Michelangelos „David“ im Original (vor den Uffi zien steht ja nur ein Abguss), perfekt beleuchtet und in Proportion gebracht zur Architektur des Gebäudes, ist zentraler Angelpunkt einer gerade neu eröffneten Ausstellung, die Fotografi en von Robert Mapplethorpe in Dialog zur Skulptur des biblischen Königs David setzt. Vier Mapplethorpe-Fotos zeigen dasselbe Aktmodell von mehreren Ansichten, von hinten, von vorn, von den Seiten, und die verschiedenen Versionen sind dann räumlich entsprechend auf schwarzen Stelen um den „David“ angeordnet. Neben den vier Marmorblöcken, den Entwürfen der nie fertiggestellten „Boboli-Sklaven“, sind auf einer ebenfalls speziell designten, schwarzen Ausstellungswand vier Mapplethorpe- Fotografi en ausgestellt, die jeweils in verschiedenen Posen ein Modell zeigen, das sich von innen gegen die Wände einer mannshohen, runden Betonröhre stemmt.

In einem separaten Raum ist eine kleine Übersichtsausstellung von Mapplethorpes Gesamtwerk untergebracht. Was sich im ersten Moment wie ein zum Scheitern verurteiltes Experiment anhört, funktioniert überraschend gut. Es lässt auf die Energie, die Atmosphäre, die Arbeitsweise der Künstler und ihrer Epochen schließen. Zwischen Michelangelo und New Yorks spätem Helden Mapplethorpe wird eine fast unheimliche Nähe deutlich: im Umgang mit der Abbildung des Körpers im Verhältnis zu Raum, Plastizität und Oberfl äche. Und im Verhältnis von Material und Zerbrechlichkeit, Verführung und Endlichkeit.

Ab 1. Januar arbeitet Klaus Biesenbach in neuen Funktionen: Als Direktor des P.S.1 sowie als Curator-at-large des MoMA