Justin Hoffmann vom Wolfsburger Kunstverein übers Sammeln

"Es geht immer ums Renommee"

Herr Hoffmann, was macht das Thema Sammeln für Sie interessant?
Ich bin Teil des Kunstsystems. Natürlich ist dieses Thema auch für mich interessant. Ich hatte es schon zum Gegenstand des Jahresprogrammes 2012 gemacht, bevor „Texte zur Kunst“ oder „Kunstforum“ Ausgaben zu dieser Thematik herausgebracht haben. Ich habe dann überlegt, ob das Thema im Moment vielleicht zu präsent ist. Aber ich möchte mich nicht beeinflussen lassen. Ich bin immer an Kunstsystemfragen interessiert. Die Bedeutung von Privatsammlern hat erheblich zugenommen. Außerdem gibt es diese These, dass private Sammler nun auch weitgehend den Museumsbetrieb, das Ausstellungswesen und den Kunstmarkt mitbestimmen.

Der Sammler ist eine ambivalente Figur.
Jeder Sammler ist anders. Sammler sind sehr wichtig, auch kunstsoziologisch gesehen, für die Existenz des Künstlers. Gerade in Deutschland sind hauptsächlich Sammlerpositionen bekannt geworden, die sich eher auf Medienkunst, nicht auf typische Verkaufskunst beziehen. Julia Stoschek, Ingvild Goetz oder Harald Falckenberg  sind nicht die typischen „Bildersammler“. Eines ist klar: Es geht immer um eine bestimmte Form von Renommee. Aus diesem Grund gehört das Wort „Ausstellen“ ebenfalls in unseren Jahrestitel. Ein ehrgeiziger Sammler will sich mit der gesammelten Kunst auch präsentieren. Viele gründen nun ihre eigene Institution. Das ist eine Entwicklung, die weit voran geschritten ist. Ich erinnere mich noch an die Eröffnung der Sammlung Goetz in München – damals war das noch etwas ganz Neues.

Gibt es neue Sammlertypen?
Extrem sind die osteuropäischen Sammler, da fühlt man sich an die Medici-Zeit erinnert, wo Oligarchie und Mäzenatentum ineinander flossen.

Gehen Sie während Ihres Jahresschwerpunktes  „Sammeln, Jagen, Ausstellen“ auf den Konkurrenzkampf zwischen Museum und Privatsammler ein?
Nicht direkt. Wir haben als Kunstverein keine eigene Sammlung, die in Konkurrenz treten könnte. So geht auch unser Interesse in eine andere Richtung. Wir haben uns gefragt: Wie sieht es in der eigenen Umgebung aus? Welche Personen haben relevante, bedeutende Sammlungen in einer Stadt, in der gerade mal 120.000 Menschen leben? Bei einer Recherche bin ich dann auf fünf Sammlungen gestoßen. Für mich war das Gebiet auch erst einmal Neuland.

Wie unterscheidet sich der Wolfsburger Sammler von anderen?
Das Aufstellen regionaler Charakteristika stand bei uns nie im Vordergrund. Man ist ja überrascht, dass es überhaupt Kollektionen gibt, in einer Stadt wie Wolfsburg. Interessant fand ich zu erfahren, aus welchen Berufsfeldern die Sammler kommen. Wider meine Erwartungen an die VW-Stadt, ist kein großer Manager dabei. Die Sammler kommen überwiegend aus der Politik. Lediglich Günter Graf von der Schulenburg bildet hier eine Ausnahme. Das politische Interesse war bei den Betreffenden schon immer mit einem kulturellen Engagement verbunden. Sie waren in Kulturausschüssen oder in der Ankaufskommission des Bundestages tätig.

Steht das Werk des Sammlers oder das des Künstlers im Vordergrund?
Der Sammler steht im Vordergrund. Die fünf Kollektionen werden im Kunstverein räumlich voneinander getrennt präsentiert, so dass der private Geschmack der jeweiligen Person zur Geltung kommen kann. Auch Rahmungen sind so geblieben, wie sie waren – ich habe nichts verändert. Die Auswahl der Werke haben wir jedoch gemeinsam getroffen.

Die Wörter „Sammeln“ und „Jagen“ treffen im Titel des Jahresprogrammes aufeinander. Hat das Kunstsammeln etwas Archaisches?
Das ist ein anthropologisches Bonmot. Früher unterschied man zwischen den Tätigkeitsbereichen Jagen und Sammeln – heute deckt sich beides, jedenfalls, wenn es ums Kunstsammeln geht. Wenn man dem Philosophen Manfred Sommer glauben darf, ist Kunstsammeln die höchste Stufe des Sammelns. Trifft man Sammler heutzutage auf Messen oder in Auktionshäusern, hat man das Gefühl, sie gingen ihrer Sammelleidenschaft in Form einer Jagd nach. Wie diese Jagd bewertet wird, ist sehr unterschiedlich. Jean Baudrillard empfindet sie als negativ. Er sagt, sie sei eine Flucht vor der Realität beziehungsweise ein Ausgleich zum unerfüllten Sexualleben. Ich würde sagen, die Jagd ist auf jeden Fall eine affektbeladene Form von Fantum gegenüber der Kunst.

Aus Sammeln wird Besessenheit?
Zum richtigen Sammeln gehört die Besessenheit, es ist Sammeln mit Obsession. Man will das letzte Stück erwerben, alle Grafiken eines Künstlers besitzen – hieraus ergibt sich die Jagd.

Das Jahresprogramm soll mit der Ausstellung „Heb mich auf!“ schließen. Hier präsentieren Sie Künstler, die für ihre eigene Kunstproduktion vorerst Material sammeln. Was haben Kunstsammler und Künstler gemeinsam?
Der Sammler hat auch kreative Momente. Ein Sammelgebiet zu entwickeln, heißt einen Schöpfungsprozess zu durchlaufen. Die neuen Entwicklungen finde ich natürlich auch interessant. Sammler wie Falckenberg präsentieren sich selbst, als seien sie Künstler. Bei den Einzelausstellungen eines Sammlers geht es meistens um genau diese Parallele zwischen genialem Künstler und genialen Sammler. Sammelnde Künstler und  Kunstsammler sind sich ähnlich, da die gesammelten Gegenstände bei beiden in einem ästhetischen Umwertungsprozess umfunktioniert werden. Jacques Rancière beschreibt das ganz passend: Materie wird in ein eigenes individuelles Sensorium umgewandelt. Ware wird zu etwas Schönem, Gewöhnliches zu Ungewöhnlichem.

"Wolfsburger Sammler", Kunstverein Wolfsburg, bis 29.4.