Dieter Meier und Yello in Hamburg

Extrem lustig, das Wettrennen in der Kunst

Ein gutes Paar Socken, „am liebsten aus einer Merinowolle-Kaschmir-Mischung“, das sei ihm wichtig. Für Dieter Meier ist die Frage, ob sein Erscheinungsbild dem eines Dandys gleichkommt, relativ. „Das hat vielmehr mit Wohlfühlen zu tun, mit Komfort. Es gibt durchaus Farben, Materialien, die mir Unbehagen bereiten“, sagt der Zürcher Künstler und Musiker, während im Erdgeschoss der weitläufigen Hamburger Phoenix-Werke, Sammlung Falckenberg, „Pinball Cha Cha“ in die nächste Runde geht.

In dem Musikclip aus dem Jahr 1982, der kürzlich in die Videosammlung des New Yorker MoMA aufgenommen wurde und bei dem der heute 66-Jährige selbst als Regisseur und Akteur fungierte, drehen Knetfiguren ihre Pirouetten im grünvioletten Rampenlicht, Figuren, die aus der Reihe „Lost sculptures“ stammen, einer frühen Arbeit des Künstlers. Angefertigt in einer Zeit bevor sich Dieter Meier aus dem „Kunstrennen“ zurückzog und zusammen mit seinem Bandkollegen Boris Blank als Yello Musikgeschichte schrieb.

So ist es nur folgerichtig, dass die große Retrospektive, die soeben von den Deichtorhallen Hamburg hier in den Phoenix-Werken auf über drei Etagen eröffnet wurde, neben frühen Experimentalfilmen – darunter kaum bekannte Serien mit der diesjährigen Kuratorin der Venedig-Biennale, Bice Curiger, und ein leicht exzentrischer Film von Peter Sempel –, Skulpturserien, Installationen und dokumentierten Kunst-Konzept-Aktionen, auch ungehörte Tonaufnahmen und Musikclips des Elektropopduos Yello integriert. Zumal die Formation in seiner Entstehung eher als Kunstprojekt gedacht war und weniger als ein kommerzielles Unterfangen. „Der Opportunistische war nicht mein Weg. Natürlich hatte ich auch das Glück, unabhängig zu sein und mich nicht sorgen zu müssen. Mich anbiedern zu müssen, lag mir nicht.“

Obwohl die skurrilen, bisweilen aberwitzig anmutenden Aktionen, die der elementare Situationist im öffentlichen Raum durchführte, durchaus medienträchtig waren. Auf einem großformatigen Print sind ein Paar schwarze Herrenschnürschuhe zu sehen, darunter eine monumentale Tafel mit der Inschrift: „This man will not shoot.“ Mit gezücktem Revolver in der Hand wartete Dieter Meier am 23. Februar 1971 im Vestibül des New York Cultural Center auf Vernissage-Besucher. Ein paar Tage zuvor hatte der Sohn eines Bankiers Passanten jeweils für einen Dollar das Wort „Yes“ oder „No“ abgekauft und dafür Zertifikate überreicht. „Da hat niemand gefragt, warum ich das mache. Ich war eben ein Typ, der Geld verteilt.“

Schwarz-Weiß-Fotografien, Zeitungsartikel und Aktionsprotokolle dokumentieren unter anderem in der Ausstellung Dieter Meiers „Manifeste des Nichts“: angefangen mit einer seiner ersten Performances von 1969, bei der er fünf Tage lang auf dem Platz vor dem Kunsthaus Zürich hunderttausend Schrauben abzählte, bis zu den späteren Aktionen der 70er-Jahre, etwa als er an der Documenta V teilnahm und eine gusseiserne Tafel im Boden auf dem Kasseler Bahnhofsplatz versenken ließ, welche die Aufschrift trug: „Am 23.März 1994 von 15 bis 18 Uhr wird Dieter Meier auf dieser Platte stehen. Kassel, 27. Juni 1972.“ Als er seinem Versprechen Folge leistete, kamen Hunderte Schaulustige, einschließlich des Bürgermeisters, der ihm gratulierte. „Ohne zu wissen, wofür,“ amüsiert sich Dieter Meier.

Auch ein Artikel der „New York Times“ hängt in der Ausstellung gerahmt an einer der Wände – die Chefkunstkritikerin kam gerade vorbei, als er die Dollars verteilte. Ein Knallstart für die Karriere, wie sich Künstlerfreunde von Dieter Meier freuten. Er hätte sich und seinen fröhlich inszenierten Dilettantismus feiern lassen können, aber kurz nach einer Einzelausstellung im Zürcher Kunsthaus 1976 war Schluss. Dieter Meier stellte in lokalen Galerien aus und konzentrierte sich auf Yello. „Ich habe es ja durchaus versucht und auch verschiedene Stufen vernünftig hinter mich gebracht.“ Aber die Rituale der Kunstwelt, die sich im allerkleinsten Kreise dreht mit ihrem Hohepriester des Erfolgs und Seligsprechungen, gefiel ihm einfach nicht. „Das Kunstrennen von heute ist extrem lustig, diese Damien Hirsts der Postmoderne. Das hat etwas Clowneskes. Der Diamantkopf ist ganz großartig, ein röhrender Hirsch der Postmoderne.“

Gegen einen Ausverkauf im Warholschen Sinne hat er sich gesträubt. Aber ob und inwiefern er selbst Teil der Welt des Spektakels war oder ist, lässt er in der Schwebe, wie in seinem Kunstvideo „Akrobatik“, in dem er wieder und wieder den Kopfstand auf einem Sessel versucht: eine Kippfigur.

Mit seinen Arbeiten hatte er nie „ein final angestrebtes Werk im Sinn“ – Zufälle, Langeweile oder die „wunderbare Lächerlichkeit im schönen Sinne“ haben ihn getrieben. Die Schau, für die er sein „Archiv des Flüchtigen und Nichtigen“ öffnete, ist auch für ihn „ein Blick auf die Fußspur, die man hinterlässt“. Als neustes Projekt plant Dieter Meier wieder einen Film, inspiriert von dem Roman „Lord Jim“ von Joseph Conrad. Und falls das erneute Ansehen als Künstler jetzt doch noch seinen Ruhm als Sänger und Texter von Yello übertrifft? „Letztendlich ist doch auch der Erfolg die größte Herausforderung im Leben. Der ist wie ein Affe auf dem Rücken und will weiter mit Zucker gefüttert werden. Aber loswerden muss man ihn immer wieder.“

Deichtorhallen Hamburg, in den Phoenix-Werken, bis 11. September