Harun Farocki zum 70.

Filmemacher mit Meta-Blick

Weltweit werden immer mehr Bilder produziert und verbreitet. Diese Flut an Fotos oder Filmen schärft nun nicht unbedingt das Bewusstsein für die manipulative Kraft von Bildern, weder bei Produzenten noch bei Empfängern. Im Gegenteil scheint die visuelle Legasthenie um sich zu greifen. Der Filmemacher Harun Farocki sieht seine wichtigste Aufgabe im Austausch mit dem Publikum: „Es geht um einen neuen Zugang zu den Dingen“, sagt er, „darum, einen Modus zu etablieren, in dem man nicht nur durch die Bilder etwas anderes sieht, sondern die Bilder selber. Wenn dieser Meta-Blick gelingt, ist das sehr viel“.

Farocki, 1944 im damals von den Deutschen annektierten Teil der Tschechoslowakei geboren, studierte 1966 bis 1968 an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Westberlins, war später Redakteur der Münchener Zeitschrift „Filmkritik“, produzierte ab 1966 zahlreiche Dokumentarfilme und Essayfilme, schrieb Drehbücher (u.a. mit Christian Petzold) und ist seit 1996 auch im Kunstbetrieb aktiv, mit diversen Gruppen- und Soloausstellungen. Die Medieninstallation „Deep Play“, die Anatomie des Fußball-WM-Finales von 2006 auf zwölf Monitoren, zählte zu den stärksten Werken der Documenta 2007.

Es sei wichtig, so Farocki, „dass es so viele bewegte Bilder in der Kunstwelt gibt. So kommt es zu neuen Sichtweisen, Kunstgeschichtler etwa haben in den letzten Jahren angefangen, über Filme zu schreiben.“ Seine vierteilige Werkreihe „Ernste Spiele“ erlebt vom 6. Februar an im Hamburger Bahnhof seine Berliner Premiere, zuvor, am 11. Januar um 23.05 Uhr  werden die vier Filme (als Einkanalvideos) auf 3sat gezeigt. „Ernste Spiele“ wurde in einem Trainingscenter für Mitglieder der US-Army in der Nähe von Seattle gedreht. Dort bereitet man Soldaten auf Einsätze in Krisenherden oder behandelt diejenigen, die traumatisiert zurückkommen. „Ernste Spiele II: Drei tot“ wurde bei einer militärischen Übung in der kalifornischen Mojave-Wüste gefilmt. Dort baute die Armee eine Stadt und beschäftigte etwa 300 Statisten, die die afghanische und irakische Bevölkerung darstellten. Farocki: „Diese Stadt sah aus, als habe man die Wirklichkeit einer Computeranimation nachgebildet.“

Die Filme, die der Künstler vor seinem 40. Geburtstag gedreht habe, seien in gewisser Weise „politisch veraltet“, bemerkte der Künstler selbst. Der Agitprop-Film „Nicht löschbares Feuer“ von 1969 bildet für ihn eine Ausnahme, da er „symptomatisch ist für die damalige Zeit und noch immer recht viel gezeigt, diskutiert und kommentiert wird.“ Der Film über den Einsatz von Napalm im Vietnamkrieg ergänzt die Ausstellung im Hamburger Bahnhof.

Die Galerie Ropac präsentiert in ihrer Pariser Dépendance vom 15. Januar bis zum 15. Februar eine Farocki-Installation, flankiert wird die Schau von der Festschrift „Diagrams“, die der Grafiker Benedikt Reichenbach ediert hat (Verlag der Buchhandlung Walther König). Zu den zehn im Buch behandelten Filmarbeiten zählt auch „Parallele“ – die Installation aus mehreren Doppelprojektionen wird bei Ropac zu sehen sein: Farocki konfrontiert dort Naturdarstellungen aus 80er-Jahre-Computerspielen mit jüngeren, augentäuschenden Simulationen. Die Manipulationen werden zunehmend perfekter, aber wir trauen den Bildern nicht mehr. Hoffentlich, muss man hinzufügen – und Harun Farocki, der heute, am 9. Januar, 70 wird, hört sicher nicht auf, diese gesunde Skepsis zu schüren.

Ausstellungen:  Hamburger Bahnhof, Berlin: „Ernste Spiele“, 6. Februar bis 13. Juli / Galerie Ropac, Paris: "Parallele", 15. Januar bis zum 15. Februar 

TV-Ausstrahlungen: Am Samstag und Sonntag zeigt 3Sat zahlreiche seiner Filme. Am Samstag läuft um 23.05 "Ernste Spiele" und um 23.50 "Erkennen und Verfolgen", am Sonntag um 11.25 Uhr "Stilleben", um 12.20 Uhr "Die führende Rolle", um 2.40 Uhr "Auge/Maschine", um 3.05 Uhr "Der Auftritt", um 3.45 Uhr "Zum Vergleich" und um 4.45 Uhr "Sauerbruch Hutton Architekten"
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