Pionier der künstlerischen Farbfotografie

Fotograf Saul Leiter gestorben

Wie die Streetstyle-Fotografen von heute fand auch Saul Leiter seine Motive auf den Straßen, und oft waren es ausgefallene Kleidungsstücke, vor allem Accessoires, die sein Interesse weckten: Zwei Damen mit auffälligem Kopfschmuck oder ein paar Füße in ausgetragenen Herrenschuhen neben bestrumpften Damenbeinen in Pumps hält Leiter zunächst noch in Schwarzweiß fest. Den leuchtenden Regenschirm, der sich als wirklich „roter“ Faden durch viele seiner Aufnahmen zieht, bannt er auf abgelaufenen (und daher erschwinglichen) Farbfilm.

Als Saul Leiter in den 50ern begann, mit Farbfotografie zu experimentieren, war er seiner Zeit voraus: Künstler der „New Color Photography“ wie Stephen Shore schufen ihre signifikanten Arbeiten erst in Mitte der 70er. Bei Leiters Aufnahmen standen Strukturen und farbige Flächen im Vordergrund, Unschärfen verleihen vielen Bildern einen gemalten Charakter.

Die Aufteilung des Bildraums in Farbflächen, die Leiters Fotografien kennzeichnet, fand sich auch in seiner Malerei wieder: Der 1923 in Pittsburgh geborene Sohn eines orthodoxen Rabbiners begann seinen künstlerischen Werdegang als Farbfeld-Maler. Leiter hatte eigentlich auch Rabbi werden sollen. Doch die Mutter hatte dem Zwölfjährigen eine Kamera geschenkt. Als junger Mann hatte er zu den wichtigen Figuren der New Yorker Schule gehört, einer Künstlergruppe um Poeten wie Allen Ginsberg und Jack Kerouac oder Musiker wie John Cage und Miles Davis.

Leiter war nicht der Fotograf, der nur die Probleme der Gesellschaftfesthielt: "Einige Fotografen glauben, ernsthafte Probleme der Gesellschaft anzugehen, in dem sie Fotos vom menschlichen Elend machen. Ich glaube nicht, dass Elend tiefgründiger als Glück ist."

Die Menschen auf Leiters Fotografien sind hinter beschlagenen Scheiben verborgen oder aufgespannten Schirmen verdeckt. Sie verlieren sich in der Unschärfe der Tiefe oder sind hier und da nur in Spiegelungen erkennbar. Auch diese Distanz unterscheidet die Bilder von zeitgenössischer Streetstyle-Fotografie. Selbst in den Modestrecken, die Leiter für Magazine wie "Harper’s Bazaar", "Vogue", "Esquire" oder "Elle" produzierte, stehen nur selten die Modelle im Fokus. Mal verschwindet ein Model hinter einem Busch, mal blockiert ein Gerüst den Blick – oder eine Hälfte der Aufnahme ist gleich völlig von einem zufällig vorbeilaufenden Arbeiter verdeckt.

Fast schon konsumketzerisch stellt er ein Model in Haute Couture vor eine Plakatwand, an der Shirts für 39 Cent beworben werden. Man kann den Eindruck bekommen, Leiter interessierte sich nicht sonderlich für Menschen, und es ist als eine Art ausgleichender Gerechtigkeit zu verstehen, dass sich diese auch lange nicht für ihn interessierten. Dem Galeristen Galerist Howard Greenberg ist es zu verdanken, dass diesen Arbeiten spät die ihnen gebührende Anerkennung wiederfuhr. Im vergangenen Jahr richteten die Deichtorhallen in Hamburg dem Fotografen eine umfassende Retrospektive aus. 

Am Dienstag ist der Saul Leiter im Alter von 90 Jahren in seiner Heimatstadt New York verstorben. (Frederike Ebert/dpa)